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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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ausgeweint.«
    Natürlich erkundigte ich mich nach Einzelheiten. Miss Carver schloß das Fenster, ehe sie weitersprach.
    »Man hört hier ziemlich gut«, verriet sie mir. »Ich sage Ihnen, der armen Mrs. Trivell war ziemlich mies zumute. Sie hätten sie schluchzen hören sollen, Mr. Spyker: herzzerreißend! Wenn Sie mich fragen, wußte sie von den Seitensprüngen ihres Mannes, doch blieb ihr nichts anderes übrig, als zu weinen.«
    »Vielleicht haben Sie sich ja geirrt«, unterstellte ich. »Vielleicht haben Sie jemand anders gehört.«
    »Nein, sie war es. Ich habe sie doch auch gesehen. Vielleicht meinen Sie jetzt, daß ich eine alte Schnüfflerin bin, aber ich konnte nicht anders, ich mußte gucken. Vom Dachgeschoß aus kann man in Mrs. Trivells Schlafzimmerfenster sehen. Eines Tages habe ich mal hinübergeschaut, und da saß sie auf dem Bett und hatte das Taschentuch vor dem Gesicht und weinte, als stünde der Weltuntergang bevor. Die Frau hatte heimlich Kummer, Mr. Spyker.«
    Nun, das war der Grund, warum ich meinen Bericht in jener Woche noch zurückhielt. Ich suchte Charley Cooper auf, den Agenten, der die Versicherung abgeschlossen hatte, und fragte ihn, warum Jane Trivell seiner Meinung nach die ganze Zeit weinte.
    »Woher soll ich das wissen?« antwortete Charley. »Vielleicht war sie schwanger.«
    »War sie nicht.«
    »Nun, vielleicht hat sie dann deswegen geheult.«
    Das war nun mal ein Gedanke. Folglich suchte ich die Praxis von Dr. Jonas Levy auf, der die Trivells betreut hatte.
    »Mit Mrs. Trivell war alles in Ordnung«, gab Dr. Levy Auskunft. »Die beiden hatten keine Kinder, aber sie waren noch keine zwei Jahre verheiratet. Bei der Frau war alles völlig normal.«
    »Und George Trivell?«
    »Dasselbe.«
    »Und wie stand es mit der seelischen Verfassung? Neigten die beiden vielleicht zur Melancholie oder zu Depressionen?«
    »Absolut nicht.«
    In diesem Augenblick stand es mit meiner eigenen seelischen Verfassung nicht zum besten – trotzdem gab ich den Bericht noch nicht durch. Etwa zu dieser Zeit meldete sich die Firma bei mir. Man sagte mir, ich hätte schon zuviel Zeit auf den Fall verschwendet, und wenn ich keinen konkreten Verdacht vorlegen könne, solle ich meine Billigung zur Auszahlung innerhalb einer Woche aussprechen.
    Eine Woche war nicht viel, doch ich suchte Jane Trivell noch einmal auf. Als ich sie nach der möglichen Untreue ihres Mannes fragte, hätte sie mich beinahe hinausgeworfen. Ich verfolgte das Thema nicht weiter, faßte aber den Entschluß, mich einmal um Trivells »Überstunden« zu kümmern. Ich suchte seinen Chef auf, Joseph Seeworth von der Firma Seeworth Sportkleidung.
    »George Trivell?« fragte Seeworth. »Verläßlich wie ein Felsbrocken. Der wäre in ein paar Jahren hier zu meinem Stellvertreter aufgestiegen. Die letzte Person, der ich einen Seitensprung zutrauen würde.«
    »Trifft es zu, daß er oft Überstunden machte?«
    »Andauernd«, sagte Seeworth. »Der Mann blühte auf, wenn er arbeiten konnte. Wenn George seiner Frau sagte, er mache Überstunden, so entsprach das der Wahrheit.«
    Mir kam die Sache inzwischen ziemlich hoffnungslos vor. Ich hatte noch drei Tage Zeit und eine vage Ahnung, wußte aber nicht, wo ich anfangen sollte. Was ich dann machte, war nicht besonders raffiniert. Mir fiel nur nichts anderes ein. Ich parkte gegenüber dem Haus der Trivells und wartete ab, ob etwas passierte. Um es genau festzuhalten: ich begann die Überwachung am Freitag, dem 4. Mai, um zehn Uhr früh.
    Der erste Tag verlief ereignislos. Ein Botenjunge von einem benachbarten Supermarkt brachte eine Tüte Lebensmittel. Ein Bürstenvertreter wurde gegen halb vier abgebürstet. Jane Trivell drehte um Viertel vor elf das Licht aus. Ich hielt bis Mitternacht durch und fuhr dann in die Stadt zurück.
    Am Sonnabend vormittag begab ich mich gegen elf Uhr auf meinen Posten. Das Haus lag unverändert still da.
    Um halb zwölf kam Jane Trivell heraus und ging in die Garage. Die beiden hatten zwei Autos besessen. Sie stieg in ihren 1959er Combi und fuhr damit rückwärts auf die Straße. Ich folgte ihr zur einzigen Reparaturwerkstatt und Tankstelle des Ortes, einer ordentlichen kleinen Firma, die sich Bei Jimmy nannte. Hier ließ sie den Tank auffüllen und ging einkaufen. Das war alles.
    Doch um genau 19.42 Uhr am gleichen Abend verließ sie das Haus erneut, diesmal in einem schwarzen Kleid mit einer schimmernden Spange an der Schulter. Sie stieg in ihren Wagen und fuhr damit zu Jimmy

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