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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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vornehme Hotels, nichts, das mit Geld zu haben wäre. Ich möchte feststellen, ob sie glücklich sein kann, wie die armen Leute glücklich sind, ohne an das Morgen zu denken, sich nur am Leben zu freuen und an der Gesellschaft des anderen – Mann und Frau, der Himmel, der Ozean, das Gras. Das klingt verrückt, ich weiß, vielleicht wird sie mich für verrückt halten, aber ich werde ihr den Vorschlag machen. Sie hat ein Anrecht darauf, Vel, ein bißchen Glück vor dem Ende. Du verstehst.«
    »Ja«, sagte Velvet und blickte ihn ehrfürchtig an. »Und weißt du, was ich noch begreife, Wuschi? Daß du mir ein phantastischer Ehemann sein wirst.«
    Sylvia traute zuerst ihren Ohren nicht. »Eine Reise ohne Geld? Was meinst du damit?«
    Er lachte. »Mit der Reaktion habe ich gerechnet, Liebling! Aber es ist mein voller Ernst. Nicht, daß wir völlig pleite sind. Wir nehmen vier- oder fünfhundert Dollar mit. Aber wir gehen nicht an die gewohnten Orte, wir schlafen nicht in Hotels, wir mieten keine Autos und tun auch sonst nichts, was ein paar verrückte junge Leute sich nicht leisten könnten.«
    »Werther, ich glaube einfach nicht, daß du es ernst meinst. Auf unseren Reisen haben wir bisher immer ein Vermögen ausgegeben …«
    »Und wieviel Spaß hast du daran gehabt? Sei ehrlich, Sylvia, wie sehr haben dir diese Reisen gefallen?«
    »Aber wohin wollen wir denn fahren?«
    »Wohin ziehen die Zigeuner? Überallhin und nirgends. Kein festes Ziel! Einfach auf die Straße!«
    »In einem Pferdewagen?«
    »Wie wär’s mit einem Fahrrad? Oder zu Fuß? Oder mit den Daumen?«
    »Als Anhalter?«
    »Warum nicht? Du hast sehr hübsche Daumen zum Hochrecken, habe ich dir das schon einmal gesagt?«
    »Von dir, Mr. Hand, ist das wirklich ein Kompliment!«
    Er lachte wie ein Junge. »Wir leben wie die Tramps, Liebling! Wir schließen uns dem fahrenden Volk an, wir werden zu Wanderern, zu Nomaden! Wenn wir Glück haben, werden wir vielleicht sogar verhaftet …«
    »Nein, danke!«
    »Wir essen Hamburger in einfachen Imbißstuben und pflücken Blaubeeren in den Wäldern. Wir übernachten in den billigsten Motels und tragen uns als Mr. und Mrs. Smith ein, damit nur ja niemand ahnt, daß wir wirklich verheiratet sind …«
    Sie hatte tatsächlich zu lächeln begonnen. »Werther, du scheinst mir ein bißchen überdreht zu sein!«
    »Aber ich will, daß wir verrückt handeln, Sylvia. Wir wollen beide am eigenen Leibe erleben, wie Luft schmeckt, die nicht aus der Klimaanlage kommt, wie sich ungechlortes Wasser anfühlt, wir wollen billigen Wein trinken und das Essen von Mrs. Kleinbürger essen
    und vielleicht mal die Zeche prellen, wenn wir kein Bargeld mehr haben …«
    »Du scheinst das wirklich ernst zu meinen.«
    »Ich möchte, daß wir morgen abfahren – heute abend noch – jetzt gleich … Niemand soll wissen, wohin wir ziehen, nicht einmal Vossberg; sammle einfach alles Bargeld ein, das du im Haus hast, dann reisen wir ins Unbekannte. Ohne Kreditbrief, ohne Nachricht an die Bank, ohne Koffer …«
    Sylvia verschlug es den Atem.
    »Na gut, ein kleiner Koffer, aber wirklich klein, nur die notwendigsten Sachen.«
    »Werther, das ist die verrückteste Idee, die ich je gehört habe. Ich glaube, wir halten das nicht mehr als eine Woche lang durch.«
    »Wenn uns danach ist, können wir uns als blinde Passagiere auf ein Schiff schleichen, das nach Europa fährt. Vielleicht schaffen wir es quer über den ganzen Kontinent!«
    »So habe ich dich noch nie erlebt, Werther!«
    »Und ich habe noch nie gesehen, daß du am Leben soviel Spaß hattest, Sylvia«, antwortete er und nahm sie in die Arme. »Und deshalb sollst du ja sagen.«
    »Und wir sollen Vossberg nichts sagen?«
    Werther lächelte siegesgewiß. »Wir schicken ihm eine Postkarte«, sagte er aufgekratzt. »Wir schicken ihm eine Karte aus irgendeinem alten
    Andenkenladen und schreiben: ›Wir haben viel Spaß und freuen uns, daß Sie nicht hier sind!‹«
    Zum zweitenmal seit ihrem Kennenlernen sah er Sylvia lachen.
    Velvet erhielt zwei Monate später Werthers Brief. Sie hatte die Hoffnung, jemals wieder von ihm zu hören, fast schon aufgegeben, und die daraus resultierende Depression hatte ihren Tribut gefordert. Drei neue Krähenfüße hatten sich auf ihrem Gesicht bemerkbar gemacht, und prompt erhielt und akzeptierte die Agentur in ihrem Namen einen Auftrag für eine Bierreklame, der ihr nur neunzig Dollar in der Stunde brachte – eine Verschlechterung um zehn Prozent. Es war wie ein

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