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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Schürzenjäger und Schlimmeres nannten, heirateten sie zwei Monate später. Auf der Hochzeitsreise hatte sie seine Hände ergriffen und gerufen: »Die gehören jetzt mir!« Scherzhaft antwortete er, sie habe um seine Hände angehalten, und Sylvia hatte gelacht. Es war das letztemal, daß er sie lachen sah.
    »Nun, sie ist nicht gerade eine lustige Frau«, sagte Werther zum Psychiater. »Das wußte ich seit dem Augenblick unseres Kennenlernens. Sie hat ihre Depressionen, aber ich hätte mir nie vorgestellt, daß sie wirklich ernsthaft sind.«
    »Sie sagt mir, sie schließe sich drei oder vier Tage hintereinander ein.«
    »Nun ja, das tut sie ab und zu. Das ist ihre Methode, von allen Belastungen abzurücken.«
    »Was für Belastungen?«
    »Geld zu haben bedeutet nicht, daß man alle Verpflichtungen los ist«, sagte Werther, womit er nur die Worte von Sylvias Finanzmanager Vossberg nachplapperte.
    »Aha«, sagte Miller und sah jetzt doch beinahe wie ein Wiener aus. »Aber Geld zu besitzen garantiert nicht immer das seelische Gleichgewicht.«
    »Man kann kein Glück damit kaufen.«
    »Für einen Psychiater«, sagte Miller mit tiefer Stimme, »ist dieses Klischee sehr vieldeutig. Und dort liegt meiner Meinung nach der Schlüssel für die Probleme Ihrer Frau. Der silberne Löffel, mit dem sie geboren wurde, steckt ihr noch immer im Mund, und jetzt leidet sie an Atemnot. Vielleicht droht sie sogar daran zu ersticken.«
    Werther blinzelte mehrmals.
    »Geld macht sie niedergeschlagen«, fuhr Dr. Miller fort. »Das Geld hat sie in ein Leben ohne jede persönliche Befriedigung geführt. Sie kennt die kleinen Freuden des Lebens nicht – und hat daher überhaupt keine Freude mehr.«
    »Das habe ich auch schon gemerkt«, sagte Werther leise. »Aber glauben Sie wirklich, daß sie so unglücklich ist, Selbstmord zu begehen?«
    »Wenn nicht etwas passiert«, sagte Dr. Miller, »könnte es durchaus zu einem weiteren ›Versehen‹ kommen wie vorgestern. Und das geht vielleicht tödlich aus.«
    Als Dr. Miller ihn zur Tür seines Sprechzimmers brachte, reichte ihm Werther eine seiner berühmten Hände, die heftig zitterte. Miller meinte, er müsse sich beruhigen.
    Werther verließ das Gebäude und stellte überrascht fest, daß es draußen noch hell war. Sein   XKL stand am Straßenrand, schon eine halbe Stunde über die Parkzeit, doch er nahm sich die Zeit für einen Spaziergang um den Block. Er mußte über das eben Erfahrene nachdenken.
    Sylvia brachte sich vielleicht um.
    Sylvia ging es so schlecht, daß sie daran vielleicht starb.
    Die Bedeutung dieser Sätze erfüllte ihn mit Leben, mit einem Prickeln, als habe er Champagner getrunken. Wäre er unbeobachtet gewesen, hätte er jetzt einen Freudensprung gemacht.
    Velvet spürte die Veränderung in ihm, wartete jedoch in katzenhafter Zufriedenheit ab, bis Werther die Sache selbst zur Sprache brachte. Sie rollte sich auf dem Boden zusammen, neben der Couch, auf der er steif saß, und rauchte eine kleine braune Zigarre, deren Rauch sie einatmete wie den der Zigarren, die er ihr verboten hatte. Sie zog eine seiner Socken herab und rieb sein Fußgelenk.
    »Donnerstag abend«, sagte Werther langsam, »hat Sylvia vier oder fünf Schlaftabletten geschluckt. Hinterher sagte sie, sie habe sich geirrt, habe gedacht, es handele sich um Aspirin.«
    »Wer nimmt schon fünf Aspirin?« fragte Velvet logisch.
    »Ah«, sagte Werther und erkannte, daß er schon wie Dr. Miller redete.
    »Wuschi-Muschi-Tuschi, sagst du mir bitte, worum es eigentlich geht?«
    Unwillkürlich fuhr er bei dem Namen zusammen, den er jedoch gern erduldete. Velvet war das bestbezahlte Mädchen der Tilford- Modellagentur. Sie verdiente nicht weniger als hundert Dollar in der Stunde, womit sie ein höheres Einkommen erzielte als Werther aus seiner Apanage (die Vossberg ihm zuteilte). Unter diesen Umständen glaubte er von Glück sagen zu können, als Velvets spezieller Freund zu gelten. Sie hatten sich mehrere Monate vor seiner Begegnung mit Sylvia in der Agentur kennengelernt. (Er war nach Detroit gefahren, um in einer Werbesendung für eine Autofirma teilzunehmen. »Beobachten Sie diese Hände am Steuer und erkennen Sie, was es in der Autotechnik Neues gibt!«) Als er Sylvia heiratete, hatte ihn Velvet fast eine Stunde lang ange- schrien – und sich davon eine Halsentzündung zugezogen, die eine für den nächsten Tag vorgesehene Silk-Cream-Werbeaufnahme platzen ließ. Danach schickte sie ihm regelmäßig einmal im Monat

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