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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Wollen Sie mir das versprechen?«
    »Versuchen will ich es, Mr. Kiel. Allerdings liegt es nicht nur an dem … komischen Kragen. In Unterkleidung bin ich ganz derselbe.«
    Kiel lächelte. »Zweifellos. Aber versuchen Sie es mal, Reverend. Stellen Sie sich vor, Sie wären Joe Pomeroy und sprächen mit Ihrem guten alten Freund Matty. Sie sollen mir nun folgende Frage beantworten. Glauben Sie wirklich, in allem Ernst und nach tiefster Überzeugung von Herz und Verstand, daß die Tugend immer ihren Lohn findet und daß das Böse kein Glück schenken kann?«
    »Das ist eine komplizierte Frage, Mr. Kiel …«
    »Weichen Sie mir nicht aus, Reverend. Ich spreche im Ernst. Und kommen Sie mir bitte nicht mit Himmel und Hölle. Mich interessiert nur das Hier und Jetzt. Glauben Sie, daß die Sünde keinen Lohn findet, Reverend – in diesem Leben?«
    »Ja«, antwortete der Geistliche hastig.
    »Sie antworten zu schnell«, sagte Kiel lächelnd. »Dahinter steckt ein gutes Stück Gewöhnung. Glauben Sie ehrlich, diese Antwort ließe sich untermauern, Reverend? Ich meine, durch beweisbare Tatsachen?«
    »Sie schränken mich auf unfaire Weise ein, Mr. Kiel, wenn ich in meine Antwort den Himmel nicht mit einbeziehen darf.«
    Kiel schnalzte mit der Zunge und griff nach einer Zigarre. »Nein, das kommt nicht in Frage, Reverend, tut mir leid. Ich spreche über das Böse in dieser Welt, über die bewußte schamlose Sünde, als Mittel zur Befriedigung von
    Wünschen und Sehnsüchten. So wie ich sie eingesetzt habe, Reverend.«
    Der Geistliche blickte sein Gegenüber schockiert an.
    »Nun regen Sie sich nicht gleich auf«, fuhr Kiel lachend fort und zündete sich die Zigarre an. »Mir liegt nicht daran, dieses Gespräch zu persönlich werden zu lassen, Reverend, aber ich habe keine andere Möglichkeit, meine Behauptungen zu beweisen. Ich werde Ihnen einige Dinge über mich anvertrauen, Reverend, Dinge, von denen Sie keine Ahnung haben. Ich baue dabei auf Ihr heiliges Dogma der Verschwiegenheit …«
    »Ich bin kein Katholik, Mr. Kiel. Wenn Sie die Beichte meinen …«
    »Nein, es soll keine Beichte werden, lediglich eine Geschichte, Reverend, eine Geschichte, die unter uns bleiben soll. Versprechen Sie mir das?«
    Der Geistliche zögerte. »Ja.«
    »Gut«, sagte Matthew Kiel und schenkte Wein nach. »Machen Sie es sich bequem und hören Sie zu, Reverend. Wenn ich fertig bin, sollen Sie mir sagen, ob die Tugend wirklich all die Public Relations verdient hat, die man ihr zukommen läßt, und ob die Sünde wirklich so schlimm ist …«
    »Als ich zehn Jahre alt war – wir wohnten damals in Worcester – wurde meine Mutter von meinem Vater verlassen, wegen einer Frau oder einer Flasche, wir wußten es nicht genau. Meine Mutter war eine erstaunliche Frau. Sie reagierte gelassen auf seinen Schritt. Sie verschaffte sich Arbeit und war darin so erfolgreich, daß wir bald besser lebten als in der Zeit, da mein Vater die Brötchen verdiente. Etwa sechs Jahre später erfuhr ich, aus welcher Quelle das Einkommen meiner Mutter sprudelte; bei dem Kreditbüro, in dem sie arbeitete, hatte sie Geld unterschlagen. Schließlich erwischte man sie. Sie wurde verhaftet und erhielt ein überraschend mildes Urteil, doch ihre Strafe machte nicht halb soviel Eindruck auf mich wie das gute Leben. Es war die zweieinhalb Jahre Gefängnis durchaus wert; ich glaube, das erkannte sie ebenfalls. Leider starb sie kurz danach, bekehrt und voller Scham, ohne zu erkennen, daß sie auf eine Wahrheit gestoßen war, die noch umfassender war als ihre geliebte Religion: daß die Sünde Gutes bringen kann.
    Mir aber war dieses Licht aufgegangen. Außerdem erkannte ich, daß man seine bösen Taten weitaus schlauer und raffinierter inszenieren mußte, als sie es getan hatte.
    Mit Geld, das sie für mich gespart hatte, verschaffte ich mir Zugang zu einem guten
    College im Osten. Vier Jahre später machte ich als bester Student unseres Semesters den Abschluß. War das tugendsam, Reverend? Nur teilweise. Mir war klar, daß zum Erfolg Intelligenz gehörte, also gab ich mir Mühe zu lernen. Außerdem rechnete ich damit, daß ein Student summa cum laude es in der Welt der Erwachsenen leichter haben würde, und so sicherte ich mir meine Position, indem ich alles, was ich an geistigem Können nicht besaß, mit Geld heranschaffte. Ja, ich schummelte, Reverend, und diese Betrügereien waren bereits eine Demonstration meiner Geschicktheit und Schläue. Der Beweis? Man erwischte mich nie.
    Als

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