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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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es Vitaminmangel oder so. Nur ein Arzt kann dir das sagen. Machst du morgen mit Dr. Hazelton einen Termin aus?«
    »Mal sehen.«
    »Ach, Mary!« klagte Sophie. »Warum hörst du nicht mehr auf mich? Soll ich denn bloß Dienstbotin sein, wie es sich dein Onkel wünscht?«
    Mary umfaßte ihre Hand. »Natürlich nicht! Gleich morgen gehe ich zu Dr. Hazelton, Sophie.«
    Sie fuhr am nächsten Tag mit dem Cabrio in die Stadt. Der frische Fahrtwind belebte sie bereits; nicht nur ihre Stimmung besserte sich, sondern auch ihr Aussehen. Der Wind packte ihr widerspenstiges Haar und kämmte es in einer sauberen kastanienbraunen Kaskade zurück. Sie genoß die zehn Meilen zur Nachbarschaft Montcalm.
    Dr. Hazeltons Praxis befand sich in dem Haus, in dem er auch wohnte, einem sauberen weißen Gebäude im Kolonialstil, in einer Seitenstraße gelegen, von der Hauptstraße mühelos zu erreichen. Für Mary war der Doktor immer der »alte« Dr. Hazelton gewesen: weißhaarig und schon nicht mehr jung, als sie noch die Kinderkrankheiten wie Masern und Mumps und Keuchhusten durchmachte.
    In dem kleinen Vorzimmer erkannte sie die Stimme der mütterlichen Sprechstundengehilfin, mit der sie telefoniert hatte. Während sie auf einer Bank wartete, öffnete sich die innere Tür, und ein junger Mann mit einer etwas breiten Nase, einem humorvoll verzogenen Mund und dunklen Augen blickte sie an und sagte etwas zu der Matrone. Sein weißer Kittel wies ihn als »Arzt« aus.
    »Wer war denn das?« fragte Mary.
    »Wer, meine Liebe?«
    »Der Mann, der da eben herausgeschaut hat.«
    »Na, das ist Dr. Hazelton.«
    »Großartig!« sagte Mary. »Was für Vitamine hat er denn genommen?«
    »Wie bitte?«
    Natürlich handelte es sich um Hazeltons Sohn, das wußte sie sofort, als sie den Behandlungsraum betrat. Der alte Dr. Hazelton konnte gar nicht mehr praktizieren, vielleicht war er sogar schon tot. Vor sich sah sie seinen Sohn und Nachfolger, den Erben all der Zungenspatel und Thermometer und Wehwehchen aus dem Ort. Er hatte bereits eine neue wissenschaftliche Dimension eingeführt; im Zimmer standen schimmernde Sterilisatoren und Schränke und Röntgenmaschinen.
    Er bemerkte ihren verwirrten Blick und fragte: »Sie haben doch nicht etwa meinen Vater erwartet?«
    »Ich glaube doch. Er ist doch nicht …«
    »Tot? Nein, Vater muß man eines Tages mit dem Knüppel umbringen. Er hat sich allerdings vor acht Monaten aufs Altenteil zurückgezogen, und ich habe seine Praxis übernommen. Seien Sie unbesorgt. Ich habe meine Ausbildung schon vor zehn Jahren abgeschlossen und dann in Boston als Arzt gearbeitet. Dad überredete mich schließlich zu diesem Wechsel.« Er grinste. »Zum erstenmal habe ich das Gefühl, daß das ein guter Entschluß war.«
    Mary spürte, wie sie errötete, was aber sofort auf den jungen Mann wirkte; sein Ton wurde ganz sachlich. Sorgfältig schrieb er Marys Namen, Alter und Anschrift und ihre bisherige Krankengeschichte nieder und erkundigte sich dann nach ihren jetzigen Beschwerden. Sie schilderte ihm das Problem, zuerst zögernd, dann entspannter, als seine zurückhaltenden Fragen ihr Sicherheit verliehen. Bei der eigentlichen Untersuchung war sie fast – aber nicht völlig – unbefangen.
    Als es vorüber war, setzte er sich an einen alten Sekretär mit Jalousieverschluß, offenbar das einzige Stück, das aus der Zeit des alten Dr. Hazelton geblieben war, und teilte ihr seine Meinung mit.
    »Ich glaube nicht, daß es sich um etwas Organisches handelt. Ich nehme mal eine Blutprobe, doch würde ich sagen, Sie sind bei bester Gesundheit. Was trinken Sie lieber, Kaffee oder Tee?«
    »Keins von beidem.« Sie reckte das Kinn. »Sicher sind es nur meine Nerven. Das ist doch die übliche Erklärung, oder?«
    »Mag sein. Aber dafür gibt es andere Ärzte. Ich kann nur dafür sorgen, daß Sie wieder schlafen können. Ich verschreibe Ihnen etwas.«
    »Na schön.«
    Sie sah zu, wie er das Rezept ausschrieb. Seltsamerweise machte die etwas verformte Nase sein Profil noch anziehender. Seine Hände waren kräftig und wohlgeformt. Als er ihr den Zettel überreichte, berührten sich ihre Finger.
    »Nehmen Sie jeden Abend etwa eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen eine Tablette. Sobald Sie wieder normal schlafen, hören Sie damit auf. Und – ich würde Sie gern wiedersehen.«
    »Wann?«
    Er grinste.
    »Wie wär’s, wenn ich Sie mal wegen eines Termins anrufe?«
    Als sie die Praxis verließ, verabschiedete die Sprechstundenhilfe sie mit einem Lächeln,

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