Coole Geschichten für clevere Leser
Waffe öffnen konnte. Dabei verstreute er den Inhalt der Laden und der Ankleidekommode achtlos im Zimmer. Darauf kam es nicht mehr an. Die Unordnung konnte sogar von Vorteil sein, wenn er der Polizei von dem plötzlich auftauchenden Einbrecher erzählte, der ihn bedroht und seine arme Karen umgebracht hatte .
Die Suche blieb ergebnislos, und er fluchte so laut, daß er schon fürchtete, seine Frau würde ihn hören.
Schließlich fiel sein Blick auf Karens Nähkorb, einen mit Blumen geschmückten Strohbeutel, den er ihr aus einem längst vergessenen Anlaß geschenkt hatte. Hastig machte er sich darüber her, drehte ihn um, ließ den Inhalt auf den Teppich fallen.
Eine Zwirnsrolle, ein Fingerhut, ein Bandmaß, ein kleiner Revolver und ein zusammengefalteter Papierbogen.
Er griff zuerst nach dem Papier, entfaltete es und las:
Redet nie mit mir, wenn er abends nach Hause kommt.
Hat ein Verhältnis mit seiner Sekretärin.
Kümmert sich bei Parties nie um mich.
Läßt mich nie …
Kompliment an den Chef
Jules Roband saß einsam in seinem schäbigen Hotelzimmer an der Sechsundvierzigsten Straße und machte sich Gedanken über eine lange Vergangenheit und eine kurze Zukunft. Er saß auf dem schlecht gepolsterten Bett, den kleinen braunen Umschlag mit weißem Pulver in der Hand, und betrachtete in dem fleckigen Schrankspiegel einen Jules Roband, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Verschwunden war der mächtige Balkon seines Bauches. Fort waren die vollen apfelroten Wangen und das Diamantenfunkeln seiner Augen. Vergangenheit war das hochherrschaftliche Gebaren, wie es einem berühmten Küchenchef aus Europa anstand.
Er öffnete den Umschlag und blickte hinein. Wie harmlos die tödliche Chemikalie aussah! Wie einige Prisen zerstampften Zuckers, weiter nichts. Es hatte ihn Wochen und etliche Dollar seines geschrumpften Vermögens gekostet, das Gift aufzutreiben – ein geschmackloses Pulver, das seine Aufgabe schnell erfüllen würde – es sollte Jules Roband aus dem Elend ins Paradies entführen.
Wie dieses Paradies aussah? Er wußte es genau und brauchte nicht weiter darüber nachzudenken. Wenn es existierte, war es eine riesige hellschimmernde Küche mit blitzenden Töpfen und Pfannen und einer Speisekammer, die niemals leer wurde. Wie früher würde er Herr sein über dieses Reich, eine spitze weiße Baumwollkrone auf dem Kopf, und er würde für seine engelhaften Gäste jene hervorragenden Gerichte zaubern, die ihm seinen irdischen Ruhm eingetragen hatten. Ein echtes Paradies für einen Küchenchef, ein Paradies, das vor allen Dingen keinen Platz für jenen Mann hatte, der für sein vorzeitiges Ende verantwortlich war – Anton Verimee.
Verimee! M. Roband kam die Galle hoch, wenn er nur an den Namen dachte. Verimee! Wie konnte überhaupt soviel egoistische Grausamkeit in einem Namen enthalten sein, in einem kleinen, lächelnden Mann! Dabei war es nur ein Jahr, ein einziges kurzes Jahr her, daß Anton Verimee in sein Leben getreten war.
Damals war er Küchenchef des Martineau-Restaurants in New York, Anton dagegen nur ein kriecherischer Assistent, der mit schmeichelnden Worten nicht sparte. M. Roband amüsierte sich über die Lobhudeleien. Er hatte Komplimente von ganz anderen Kennern kulinarischer Genüsse vorzuweisen, von lebenslangen Mitgliedern der Escoffier-Gesellschaft, von den verwöhnten Gästen des Tour d’Argent und dreier anderer bekannter französischer Restaurants. Was kümmerten ihn da die Sprüche eines unbekannten zweiten Kochs? Unwichtig!
Doch Anton Verimee setzte seine Belagerung fort, und nach sechs Monaten trug die offensichtliche Ergebenheit und seine Bewunderung für M. Robands Spezialität, Salmis de Becasse, erste Früchte. M. Roband erbarmte sich des jungen Mannes und begann ihn behutsam in dieses oder jenes seiner geheiligten kulinarischen Geheimnisse einzuführen, die Schätze seines Lebens.
Jules Roband war in jeder Beziehung ein großer Mann gewesen. Er war hochgewachsen, sein Leibesumfang eindrucksvoll und sein Appetit nicht minder. Er respektierte das Essen auf dem Herd wie auch auf dem Tisch, und natürlich waren ihm seine eigenen kulinarischen Schöpfungen die liebsten.
Anton Verimee war von anderem Kaliber. Er war ein schmächtiger Mann mit spitzen Gesichtszügen, der eher wie ein Friseur als wie ein Küchenchef aussah. Für Anton war die Gastronomie ein Mittel zum Zweck, doch er war nicht ohne Talent. Eines Tages, so sagte ihm M. Roband, würde er einen ganz ordentlichen
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