Coole Geschichten für clevere Leser
Stirn. Zufrieden blickte er auf.
»Ach, mein Püppchen!« sagte er leise. »Es hat geklappt? Es hat wirklich geklappt?«
Sophie hörte die frohe Kunde und war weniger zufrieden, versuchte aber gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie war glücklich, daß Mary endlich wieder schlafen konnte, wußte aber, daß sie eine strategisch wichtige Position im Haushalt verloren hatte.
Um fünfzehn Uhr rief Bart Hazelton an. Marys »Hallo« klang unterkühlt.
»Regen Sie sich nicht gleich auf«, sagte Bart. »Ich melde mich als Arzt. Wie fühlen Sie sich?«
»Sehr gut, vielen Dank der Nachfrage.«
»Und Ihre Schlaflosigkeit?«
»Ich sagte eben, es geht mir gut. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich habe letzte Nacht sehr gut geschlafen, ohne Tablette.«
»Ach wirklich? Soso. Hören Sie, Mary. Ich möchte Sie bald einmal wiedersehen, in der Praxis, meine ich. Nichts Ernstes, ich möchte nur eine zweite Blutprobe entnehmen.«
»Warum? War denn die erste nicht in Ordnung?«
»Sagen wir, daß sich ein ungewöhnlicher Wert eingeschlichen hat. Ihr Blut zeigt einen ziemlich hohen Harnsäureanteil.«
»Was ist Harnsäure?«
»Nun, daraus ließe sich schließen, daß Sie eine Überdosis Koffein im Körper haben. Vielleicht nehmen Sie mehr von dem Zeug zu sich, als Sie glauben – das könnte eine Ursache für Ihr Problem sein.«
»Ich glaube nicht, daß ich noch ein Problem habe«, sagte Mary steif. »Ich kann wieder schlafen.«
»Es könnte nicht schaden, sich zu vergewissern.«
»Mal sehen.«
Als sie aufgelegt hatte, verspürte sie den Drang, sich mit einem anderen Menschen zu unterhalten, und machte sich auf die Suche nach Onkel Vernon. Sie fand ihn im Arbeitszimmer vor einer Reihe schimmernder Fotografien, als wollte er damit eine Patience legen. Er blickte ihr mit etwas törichtem Gesichtsausdruck entgegen und begann die Aufnahmen wieder einzusammeln.
»Sophie hat mir gesagt, daß du fotografierst«, sagte Mary. »Ich wußte gar nicht, daß du dich dafür interessierst.«
»Na, eine Leuchte bin ich nicht«, sagte er und lachte leise. »Einige Versuche sind ziemlich schwach ausgefallen. Freunde von mir haben nach der Gegend gefragt, in der ich jetzt wohne. Ich wollte ihnen ein paar Aufnahmen schicken.«
»Darf ich sie sehen?«
Er zögerte und reichte ihr dann den Stapel. »Nichts Besonderes – nur ein paar Schnappschüsse.«
Mary blätterte sie durch. Es handelte sich vorwiegend um Straßenszenen, offensichtlich aus dem Wagenfenster aufgenommen. Mehrere Aufnahmen eines Abschnitts der Straße zwischen Marleybone und Montcalm, eine scharfe Biegung der Landstraße, die ihr nie gelegen hatte, weil unmittelbar hinter der Leitplanke ein tiefer Abgrund klaffte. Einige Meter vor der Ecke stand ein großes Schild mit der Aufschrift: MARLEYBONE – 3 MEILEN.
»Weshalb hast du diese Aufnahme gemacht?« fragte Mary lächelnd. »Ein Bild von einem Wegweiser!«
»Ach, das«, sagte Onkel Vernon lachend. »Das will ich Freunden in England schicken. Die finden es sicher lustig, wie die Amerikaner Marleybone schreiben.«
Er nahm ihr die Fotos ab und sagte: »Hör mal, Mary, ich hoffe, du gehst weiter zu Dr. Dudley. Eine durchgeschlafene Nacht bedeutet noch keine Heilung.«
»O doch, ich gehe wieder zu ihm. Ich habe Donnerstag einen Termin, zur gleichen Zeit.«
»Das freut mich«, sagte Onkel Vernon. In dieser Nacht schlief Mary fast genauso gut, doch in der folgenden schon weniger tief, und am Donnerstag freute sie sich tatsächlich auf ihren Besuch bei Dudley, der das hypnotische Rezept erneuern sollte. Kaum hatte er das Rouleau herabgezogen, als sie sich auch schon angenehm schläfrig fühlte. Das Spiegelrad hatte kaum beschleunigt, als sie seiner freundlichen Stimme auch schon erlag. An diesem Abend schlief sie ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührte, schlief traumlos und erwachte in einen sonnigen, optimistischen Morgen.
Bei ihrem dritten Besuch fiel Mary etwas Seltsames auf: offensichtlich war sie nun ruhiger als der Arzt. Irgend etwas ließ seine Stimme weniger kräftig klingen; auf den herabhängenden Schultern schien eine schwere Last zu ruhen. Doch seine Macht über ihr Unterbewußtsein war ungebrochen.
»Es funktioniert wirklich, Doktor«, sagte sie zu ihm. »Seit der letzten Behandlung habe ich jede Nacht geschlafen.«
»Das ist schön, meine Liebe. Ich freue mich sehr.«
»Wie viele Sitzungen brauchen wir noch? Wie oft muß ich noch kommen?«
»Nicht mehr oft, nein«, sagte Dudley geistesabwesend.
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