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Coole Geschichten für clevere Leser

Coole Geschichten für clevere Leser

Titel: Coole Geschichten für clevere Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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»Vielleicht … vielleicht brauchen wir uns nur noch einmal zu verabreden.«
    »Sie haben mir sehr geholfen, Dr. Dudley. Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar.«
    »Ja«, bemerkte der Arzt. »Sagen wir nächsten Freitag.«
    Beim Verlassen der Praxis hatte sie dem Arzt bisher immer die Hand gegeben, doch heute machte er keine entsprechende Bewegung. Vielmehr erhob er sich hinter dem Schreibtisch und lächelte unbestimmt, als sie die Tür hinter sich zumachte.
    Dr. Dudley blieb allein in seinem Büro zurück. Langsam verblaßte sein Lächeln. Seufzend setzte er sich wieder und breitete auf der Schreibunterlage die Hände aus. Dann öffnete er die obere Schublade und nahm den Briefumschlag zur Hand, der den einzigen Inhalt darstellte. Mit zitternden Fingern zog er die schimmernde Aufnahme heraus.
    Das Bild zeigte die scharfe Kurve einer Landstraße, eine Kurve mit Leitplanken, hinter denen ein Abgrund gähnte. Einige Meter vor der Kurve ragte ein Schild auf. MARLEYBONE – 3 MEILEN.
    Mary hatte gewußt, daß zwischen Sophie und Onkel Vernon seit dem Tag seiner Ankunft Krieg herrschte, doch sie hoffte, daß ihre Neutralität einen offenen Konflikt verhindern half. Plötzlich aber war der Krieg vorbei; es gab eine Kapitulation. Sophie konnte aus der Niederlage nur ihren Stolz retten. Deshalb zeigte sie sich unerbittlich gegenüber Marys Tränen und Vorhaltungen.
    »Tut mir leid, Mary«, sagte sie und konzentrierte sich aufs Kofferpacken. »Dein Onkel und ich kämen nie miteinander aus, nicht im selben Haus …«
    »Ich rede mit Onkel Vernon«, sagte Mary. »Ich sage ihm, wie du denkst, Sophie. Wir finden ein Arrangement.«
    »Ich könnte dem Mann nicht trauen, Mary, auch wenn er noch soviel Süßholz raspelt. Er hat dich dazu gebracht, ihn für etwas zu halten, das er nicht ist.«
    »Glaubst du, ich wüßte nicht, was er ist?« Mary trat an die Seite der Haushälterin. »So dumm bin ich nun auch nicht, Sophie. Ich weiß, er ist ein dummer alter Mann, der aus seinem Leben nichts gemacht hat – aber das ändert für mich nichts.«
    »Er ist ein falscher Fünfziger«, sagte Sophie bitter. »Ein nichtsnutziger Schnorrer. All die Geschichten, die er dir erzählt hat …«
    »Na schön – das waren Illusionen. Onkel Vernon kann ohne diese Selbstillusionen nicht leben, Sophie. Vielleicht gilt das für uns alle.«
    In Sophies Blick standen Mitleid und Liebe.
    »Ja«, sagte sie traurig. »Wir alle brauchen unsere Illusionen. Nur habe ich meine längst verloren, Mary. Deshalb muß ich aus dem Haus.«
    Onkel Vernon saß im Wohnzimmer, als Sophie mit den Koffern nach unten kam. Sie wollte sich ihre Niederlage nicht anmerken lassen und rauschte hoch erhobenen Kopfes vorbei.
    Der nächste Tag war Freitag. Mary hatte nicht viel Zeit, Sophies Abreise zu bedauern; sie mußte sich selbst auf den Weg machen, um in Boston die Praxis von Dr. Herbert Dudley aufzusuchen; es galt die letzte Hypnosebehandlung hinter sich zu bringen.
    Freitagnacht schlief sie gut, wurde allerdings durch einen Traum gestört, in dem sie durch dunkle Nacht rennen mußte. Sie war froh, als sie erwachte und Tageslicht ins Zimmer scheinen sah.
    »Gehst du einkaufen?« fragte Onkel Vernon später.
    »Das muß ich ja wohl«, sagte Mary und musterte ihn über den Frühstückstisch. »Solange die Personalvermittlung mir keine neue Frau schickt, muß ich mich um den Haushalt kümmern.«
    »Soll ich mitkommen, Püppchen?«
    »Nein, vielen Dank, damit werde ich schon fertig. Ich fahre mit dem Combi zum Supermarkt in Montcalm. Ich bin so rechtzeitig zurück, daß ich uns etwas zu Mittag kochen kann.«
    Beim Abfahren sah sie Onkel Vernon hinter dem Wohnzimmerfenster stehen. Er blickte ihr nach.
    Es war ein schöner warmer Sommertag. Der wolkenlose blaue Himmel verbesserte ihre Laune. Sie dachte an Sophie, und das nicht ohne Hoffnung. Sie nahm nicht an, daß Sophie sie so einfach im Stich lassen würde. Es bestand immer die Chance, daß sie zurückkehrte.
    Der Supermarkt von Montcalm war ein heller, heiterer Laden, der ihren Einkauf zum Genuß machte. Sie schob das Wägelchen die Gänge auf und ab, vergaß die sorgfältig zusammengestellte Liste und griff immer wieder impulsiv in die Regale.
    In der Abteilung mit importierten Delikatessen wollte sie gerade ein Glas mit cognaceingelegten Pfirsichen nehmen, als ihr eine andere Hand zuvorkam. Es war Bart Hazeltons Hand, und sie errötete, als sie sein lächelndes Gesicht erblickte.
    »Nein, nein«, sagte er. »Das kann ich nicht

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