Coolman und ich - Auf die harte Tour (German Edition)
halten. Gerade als Pärchen kann es sehr schön sein, wenn man eine Weile zusammen schweigt, ohne dass die Stille unangenehm wird.
Deswegen schaue ich Lena stumm zu, bis sie endlich ihre Taschenlampe in die Höhe hält, als wäre es die Fackel der Freiheitsstatue.
»So, jetzt kann’s losgehen!«, erklärt sie und krabbelt vor mir aus dem Zelt. Ich folge ihr, und kurz darauf stehen wir beide im taunassen Gras. Das Tal liegt still vor uns, weil die Mädchen alle noch schlafen und die Jungs schon seit mindestens zwei Stunden beim Frühsport sind. Das ist gut, da kommen wir unbemerkt auf die andere Seite.
Ich bin bereits auf dem Weg Richtung Kanu, als Lena mich plötzlich am Kleiderärmel festhält und auf einen Zettel zeigt, den irgendwer mit vier Haarnadeln an die Zeltwand gepinnt hat. In krakeliger Handschrift steht darauf geschrieben:
Hallo Kai, wir habben mit dem Kanu wider rüber gemacht zu Major Horst, echt Alder. Voll die Überdossis an Weibern hier. Da laufen wir lieber jeden Morgen nen doppelten Maraton, als noch eine Nacht mit Lockenwigglern in nem Mädchenzeld zu verbringen. Unsere Sachen stinken immer noch voll nach Parfümm. Läb woll Alder! Uschi und Chantal Alex und Justin
PS : Hüte dich vor den Amazonasen!
Für eine Nachricht von Alex und Justin hat der Text erstaunlich wenig Rechtschreibfehler. Dennoch bleibt mir völlig schleierhaft, wieso ich mich vor den Amazonasen hüten soll und wer zum Teufel das überhaupt ist.
»Weißt du, was diese Nachricht bedeutet?«, frage ich Lena.
»Dass Uschi und Chantal deine Kumpel Alex und Justin waren?!« Jetzt ist es Lena, die übertrieben laut lacht. »Die sind als Mädchen ja genauso blöd wie als Jungs.«
Ich überhöre die spitze Bemerkung gegen meine einzigen Freunde, weil sich unsere Lage mit einem Schlag dramatisch verschlechtert hat.
»Das bedeutet, dass das Kanu weg ist!« Und damit meine Chance, Lena zu beweisen, dass ich auch in einem Kleid mit Schmetterlingsmuster ein echter Kerl bin. »Wie sollen wir denn jetzt auf die andere Seite kommen?«
Lena lächelt mich nachsichtig an und holt einen Schlüssel aus der Tasche.
»Natürlich über die Brücke. Wie denn sonst?!«
Auf dem Weg zu dem Tor, das die Jungen von den Mädchen trennt, erzählt mir Lena, dass alle Mädchen einen Schlüssel haben.
»Wir sind hier ja nicht im Gefängnis«, sagt Lena, als sie mit dem Schlüssel das Vorhängeschloss aufschließt. »Oder ist das drüben bei euch so eine Art Knast?«
So, wie sie das sagt, kann ich heraushören, dass sie nicht den blassesten Schimmer hat, wie das Leben unter Major Horst im Camp Kinderglück wirklich aussieht. Dagegen wäre eine Woche im Knast der reinste Kuraufenthalt.
Als Lena hinter mir wieder abschließt, schaue ich hoch zu dem kleinen Schlösschen, das über dem Tal thront. Auf der Terrasse macht ein rosa Morgenmantel gerade Kniebeugen. Es freut mich, dass die nette alte Dame noch so fit ist, am frühen Morgen ein paar Gymnastikübungen zu machen. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass Adolf Schmitz in dem rosa Morgenmantel steckt. Was das bedeutet, möchte ich mir lieber gar nicht vorstellen. Aber dem alten Herzensbrecher traue ich alles zu.
»Wo sind denn die ganzen Katzen?«, reißt Lena mich aus meinen Gedanken.
»Was denn für Katzen?«, frage ich irritiert.
»Na, die, die das viele Futter hier gefressen haben.« Lena zeigt auf die leeren Mockturtlesuppen-Dosen, die sich am Rande des Jungslagers zu einem riesigen Haufen auftürmen.
Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Lena liebt Tiere.
»Das ist unser Essen«, erwidere ich, weil ich Lena nicht noch mehr anlügen möchte.
Lena schaut mich an, als würde ich auch Innereien, Kalbshirn und Rinderzunge essen, und der Gedanke scheint ihr überhaupt nicht zu gefallen.
»Das ist unser Essen … für die Lemminge«, korrigiere ich mich schnell. Keine Ahnung, warum mir ausgerechnet jetzt Lemminge einfallen. »Justins Vater hat die gezüchtet.«
»Lemminge? Und wo sind die?«, will Lena wissen.
»Die Lemminge? Ja, die haben sich leider vorgestern alle gemeinsam in den Fluss gestürzt und sind ertrunken.«
»Alle?« Lena schaut mich geschockt an.
»Alle! Sind halt Lemminge, da kann man nichts machen«, sage ich und zucke bedauernd mit den Schultern.
Ehe Lena weiterfragen kann, nehme ich ihre Hand und ziehe sie schnell zwischen den sauber im Kreis aufgestellten Zelten zum Waldrand. Wenn mich nicht alles täuscht, müssten die Jungs ihren Morgenmarathon bald beendet
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