Coolman und ich (German Edition)
Krückstock steht daneben, ohne auch nur einen Handschlag zu tun. Der war in seinem früheren Leben bestimmt mal Sklaventreiber auf einer Baumwollplantage. Nicht dass ich wirklich an Wiedergeburt glaube. Aber zum Beispiel
Coolman
: Irgendetwas muss ich in meinem früheren Leben verbrochen haben, dass ich in meinem jetzigen mit
Coolman
bestraft werde. Wahrscheinlich war ich Dracula, Frankensteins Monster oder sonst irgendein Fiesling.
Erschöpft schleppe ich mich auf die Wiese und lasse mich auf das staubige Gras fallen, um meine nassen Sachen von der Sonne trocknen zu lassen.
»Hey, Jungchen! Betreten des Rasens verboten! Runter, aber ruck, zuck!«, brüllt der wiedergeborene Sklaventreiber und zeigt auf ein winziges Stück Gras, nicht viel größer als ein Handtuch. »Da vorne ist die Liegewiese!«
Müde erhebe ich mich und folge seinem ausgestreckten Krückstock.
Endlich Ruhe. Ich liege auf dem Rücken und blinzle in die Sonne. Sogar
Coolman
neben mir hält den Mund und genießt die wärmenden Strahlen.
Wenn er die Klappe hält, ist er eigentlich gar nicht so schlimm.
Coolman
hat auch seine guten Seiten.
Was für ihn spricht:
1) Ich bin nie alleine.
2)
3)
Zu Punkt zwei und drei fällt mir bestimmt später noch etwas ein. Aber solange ich hier noch keine neuen Freunde gefunden habe, habe ich immerhin
Coolman
, mit dem ich reden kann. Das ist doch was.
Na ja, meistens wenigstens.
Nach fünf Minuten schiebt sich eine dicke, dunkle Wolke vor die Sonne. Kurz danach fängt es an zu schütten. Der Regen prasselt auf mich herab. Aber das ist egal, weil ich ja sowieso schon nass bis auf die Haut bin. Außerdem hat das Gewitter auch sein Gutes: Ich brauche mir keine Ausrede einfallen zu lassen, um meinen Eltern zu erklären, warum ich völlig durchnässt nach Hause komme.
2. Kapitel
Trautes Heim, Glück allein
Als ich daheim ankomme, regnet es immer noch. Wir wohnen erst seit einem Monat in dem kleinen Haus. Im Vorgarten steht noch eine Schaukel von den Vorbesitzern und das ist echt peinlich. Noch peinlicher aber sind die Töpferarbeiten, die meine Mutter danebengestellt hat. Sie hofft, dass irgendwer sie kauft, der hier zufällig vorbeikommt. Doch wer will schon einen hässlichen Tonklotz kaufen, der »Ende aller Hoffnungen« heißt und »nur 150 Euro« kosten soll? So etwas kaufen nur Selbstmörder, denen der Name gefällt und die ihr Geld eh nicht mehr brauchen.
Meine Eltern sind umgezogen, weil sie in der Stadt eine neue Stelle gefunden haben. Die beiden sind Schauspieler und treten im Theater auf. Ihr Vertrag läuft über fünf Jahre, und das ist fast schon eine Ewigkeit, verglichen mit den Kurzgastspielen, die sie sonst gegeben haben. Wir sind schon so oft umgezogen, dass ich einen Reiseführer über die langweiligsten Käffer und die übelsten Schultoiletten Deutschlands schreiben könnte.
Als ich die Tür aufschließe, höre ich meine Mutter und meinen Vater in der Küche. Sie kochen und proben dabei noch einmal ihre Rollen für die Premiere heute Abend. Da sollen sie die Hauptrollen in »Romeo und Julia« spielen. Ausgerechnet Romeo und Julia! Dabei sind die beiden schon uralt! Über 40! Mindestens!
Coolman
hat noch nie ein Mädchen geküsst. Ich auch nicht.
Ich versuche, unbemerkt in mein Zimmer zu gelangen. Als ich mich an der Küchentür vorbeischleiche, sehe ich, wie meine Mutter und mein Vater an der Spüle stehen und knutschen. Das tun sie ständig, auch wenn sie nicht gerade für ihre neuen Rollen üben. Meine Eltern lieben sich auch nach zwanzig Jahren noch heiß und innig und das ist noch viel peinlicher als die Schaukel und der Tonhaufen im Vorgarten. Ständig halten sie Händchen und geben sich Küsschen, als wären sie frisch verliebte Teenager. Die meisten meiner alten Schulkameraden in den tausend Klassen, die ich schon besucht habe, hatten da mehr Glück. Deren Eltern waren geschieden. Die fahren im Sommer zweimal in Urlaub und zum Geburtstag kriegen sie doppelt Geschenke. Das Beste aber ist: Man kann Mama und Papa toll gegeneinander ausspielen, weil sie sich sowieso nicht mehr leiden können.
Bei meinen Eltern funktioniert das nicht. Die sind immer einer Meinung. Immer.
Auch jetzt. Sie haben kurz mit ihrer Knutscherei aufgehört und mich in den nassen Sachen im Flur entdeckt.
»Zieh dich sofort um! Du holst dir noch den Tod«, rufen sie gleichzeitig, und es ist wirklich beeindruckend, wie sie es schaffen, zeitgleich genau dasselbe zu sagen.
Mein Vater kommt auf mich
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