Coolman und ich (German Edition)
zugelaufen und beginnt sofort, mich mit Küchentüchern trocken zu rubbeln. Meine Mutter greift sich ans Herz, weil sie um mein Leben fürchtet. Die beiden neigen zu Übertreibungen, das kommt von ihrer Arbeit auf der Bühne.
Erst als die Rolle mit den Papiertüchern alle ist, hört mein Vater auf, an mir herumzureiben. Er geht zum Küchenschrank, um Nachschub zu holen. Ich nutze die Gelegenheit und verschwinde.
»Und zieh dir etwas Trockenes an, hörst du, Kai-Mäuschen!«, ruft meine Mutter mir nach.
Aber das höre ich kaum, weil aus dem Zimmer meiner großen Schwester Anti die Bässe so laut dröhnen. Eigentlich heißt sie Antigone. Meine Eltern haben sie nach einer alten Griechin in einem antiken Theaterstück genannt. Aber schon mit drei begann sie, ihren Namen abzukürzen. Seitdem nennt sie sich Anti und irgendwie passt das auch viel besser zu ihr. Als ich geboren wurde, haben meine Eltern dann höllisch darauf geachtet, mir einen Namen zu geben, den man nicht mehr abkürzen kann. Kai eben.
Bei jedem dumpfen Ton aus Antis Zimmer wölbt sich die Tür im Rhythmus ihrer Musik nach außen, so laut hat sie ihre Anlage aufgedreht. Es sieht fast so aus, als würde ihr Zimmer atmen. Drinnen hat sie alle Wände schwarz angemalt. Das ist immer das Erste, was sie macht, wenn wir umgezogen sind. Anti trägt ausschließlich schwarze Klamotten, sie lackiert ihre Fingernägel schwarz und ihre Haare hat sie … dreimal dürft ihr raten … natürlich auch schwarz gefärbt. Wenn sie sich vor eine ihrer Wände stellt, ist sie perfekt getarnt. Nicht einmal ihr bleiches Gesicht ist zu sehen, weil sie ihre langen Haare wie einen Vorhang vor ihren Augen herunterhängen lässt. Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, welche Augenfarbe sie hat.
Coolman
s geniale Pläne A bis C sind völlig überflüssig. Bei uns in der Familie haben alle blaue Augen. Da ist es ziemlich wahrscheinlich, dass ihre Augen dieselbe Farbe haben, auch wenn man sie nicht sehen kann.
Ich gehe in mein Zimmer und ziehe endlich die nassen
Sachen aus. Die Wände in meinem Zimmer sind nicht schwarz, sondern weiß. Es hängen auch keine Poster von irgendwelchen Fußballern oder Bands an der Wand. Ich hasse Poster. Ich kann nicht singen und ich kann auch nicht Fußball spielen. Also werde ich niemals ein Star. Da brauche ich niemanden, der an der Wand hängt und mich ständig daran erinnert.
Aus dem Schrank schnappe ich mir ein paar trockene Klamotten, ziehe sie an und mache es mir auf meinem Hochbett gemütlich. Zeit, Bilanz zu ziehen. Das mache ich jeden Tag vor dem Abendessen. Zuerst das Gute.
Es ist ganz einfach. Alles, was
Coolman
zu den guten Sachen rechnet, landet bei mir automatisch auf der Liste mit den schlechten Dingen, die der Tag gebracht hat. Also fange ich mit den schlechten Sachen an und das sind eine ganze Menge.
Was hat mich heute genervt?
1)
Coolman
2)
Coolman
3)
Coolman
4)
Coolman
5)
Coolman
6) die Typen, die mich in den Container gestopft haben
7)
Coolman
8) der Inhalt des Containers
9)
Coolman
10) die Fahrt in dem Container
11)
Coolman
12) das Ende der Fahrt in dem Container
13)
Coolman
14) der Opa am Teich
15)
Coolman
16) meine knutschenden Eltern
17) Antis wummernde Bässe
18)
Coolman
19)
Coolman
und so weiter.
Bei Punkt 25 höre ich auf. Dabei ist die Liste heute gar nicht mal besonders lang. Aber wie immer landet
Coolman
auf seinen Stammplätzen eins bis fünf und noch auf zahlreichen weiteren.
»Antigone! Kai-Mäuschen! Kinder! Essen ist fertig!«, ruft meine Mutter, ehe ich die kurze Liste der guten Dinge dieses Tages aufstellen kann.
Ich gehe in die Küche, wo meine Mutter schon auf mich wartet. Mein Vater steht im Flur und knipst die Sicherung von Antis Zimmer aus. Das ist der einzige Weg, meine Schwester aus ihrer schwarzen Höhle zu locken. Sein Rufen würde Anti bei dem dröhnenden Bass in ihrem Zimmer sowieso nicht hören.
Kurz darauf schlurft sie in die Küche und lässt sich wie immer wortlos auf den Stuhl mir gegenüber fallen.
Anti lässt ihren Kopf über den Teller mit der dampfenden Suppe hängen. Das macht sie sehr geschickt, weil ihre langen schwarzen Haare dabei wie ein Duschvorhang den Teller vor neugierigen Blicken abschirmen, ohne dabei in die Suppe zu hängen. Es sieht fast so aus, als würde sie ihr Essen inhalieren. Dabei hat sie einfach nur keine Lust, sich mit uns zu unterhalten.
»Hier sind eure Karten für heute Abend, Kinder!«, sagt Mama und schiebt zwei Tickets für
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