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erklärt, warum ich mit dir spreche. Der Durchbruch scheint einen Konflikt zwischen Rik Aeneas Kaolin und Dr. Yosil Maharal ausgelöst zu haben. Möglicherweise führte das dazu, dass Maharal ermordet wurde. Und auch Albert Morris.«
Das animierte Gesicht schnitt eine Grimasse – eine Karikatur von Skepsis. Ich sagte mir, dass dies nicht die Nell war, an die ich mich erinnerte. Es handelte sich nur um ein Phantom, eine Kopie, verstaut in einer Ecke der riesigen Datensphäre, aktiv in einem gemieteten Speicher.
»Ihre Erklärung für die Diskrepanz in Ihrer Lebensspanne wird als plausibel bewertet, unter Berücksichtigung von anderen Informationen, die Dienstags Schwarzer kurz vor der Explosion in den Cache übertragen hat. Doch eine neue Dissonanz muss erklärt werden, bevor ich Zugriff erlauben kann.«
»Welche neue Dissonanz?«
Die missbilligend gerunzelte Stirn von Nells Phantom wirkte sehr echt, eine programmierte Nuance, auf die ich keinen großen Wert legte. Meistens erschien sie dann, wenn ich schwer von Begriff war.
»Es gibt keine schlüssigen Beweise dafür, dass Albert Morris ermordet wurde.«
Als Realperson hätte mich jetzt vermutlich verschluckt und gehustet. »Keine schlüssigen…? Welche Beweise sind denn noch nötig? Ist es vielleicht kein Mord, wenn einen jemand mit einer Rakete in die Luft jagt?«
Ich musste mich daran erinnern, dass ich nicht mit einer realen oder tönernen Person sprach, nicht einmal mit einer guten KI. Für ein Cache-Phantom wirkte die Schatten-Nell recht gut. Aber sie musste beschädigt oder semantisch gebunden sein.
»Der Raketenangriff ist irrelevant in Hinsicht auf die fragliche Dissonanz: Albert Morris’ vermeintliche Ermordung«, erwiderte das Gesicht.
Ich starrte es groß an und wiederholte ein einzelnes, kummervolles Wort.
»Ir… irrelevant?«
Die semantische Bindung musste sehr stark sein. Verdammt. Vielleicht gelang es mir nicht, Zugriff zu erhalten. »Wie… wie kann die Mordwaffe irrelevant sein?«
»Der organische Bürger Albert Morris wird seit mehr als einem Tag vermisst. Es gibt keine Spur von ihm, weder im Web noch im Straßenkameranetz oder…«
»Nun, natürlich nicht…«
»Aber das Verschwinden kam nicht unerwartet, und es steht in keiner direkten Beziehung zu der Zerstörung seines Hauses.«
Ich dachte verblüfft darüber nach. Nicht unerwartet? Ohne Bezug zur Zerstörung?
Ich sah zur Blase, die mir die Ruine meines Hauses in der Sycamore Avenue aus der Vogelperspektive zeigte. Mehrere schwebende Voyeuraugen und Nachrichtenkameras präsentierten ein detailreiches Bild, das größer wurde, als ich den Blick darauf richtete. Ich starrte auf eingestürzte Mauern und verkohlte Balken. Der Kamin war geblieben und ragte wie ein anklagender Finger auf. Die hintere Veranda, deren schmiedeeiserne Balustrade sich in der Hitze korkenzieherartig verzogen hatte, führte zu einem Rosenspalier, von dem nur noch einige schwarze Stümpfe übrig waren.
Flackerbänder der Polizei hielten Schaulustige fern – sowohl Realpersonen als auch Ditos mochten versuchen, Souvenirs zu erbeuten. Ich bemerkte mehrere Gruppen schwarzer Spezialisten innerhalb des abgesperrten Bereichs. Mit Scannern und Analysegeräten suchten sie nach Hinweisen. Weitere Gestalten liefen zwischen den Trümmern hin und her.
Während meines Gesprächs mit dem Cache-Phantom hatten die von mir beauftragten Korrelatoren Informationen über den Raketenangriff gesammelt – die Ränder der Blasen steckten voller Zusammenfassungen und Flussdiagrammen. Ich wählte eines, das die eingesetzte Waffe betraf. Das exakte Modell war unbekannt, aber es handelte sich eindeutig um eine moderne Waffe mit hohem Zerstörungspotenzial in einem kleinen Sprengkopf. Das erklärte vermutlich, wie es möglich gewesen war, sie unbemerkt in die Stadt zu schmuggeln. Noch beeindruckender war, dass die Rakete mit wilden Kreisbewegungen und in einer dichten Wolke aus Störfolie gestartet war, um zu verhindern, dass sich der genaue Ausgangspunkt feststellen ließ. Anschließend waren fünf verlassene Gebäude niedergebrannt, und das Feuer hatte alle Hinweise darauf verschlungen, wer dahinter steckte. In jenem Viertel gab es nur wenige öffentliche Kameras; auch in dieser Hinsicht gab es kaum Anhaltspunkte für die Polizei. Vielleicht fand sie den Schuldigen nie.
Wer hat Zugang zu einer solchen Waffe?, fragte ich mich voller Ehrfurcht. Und warum sie gegen einen armseligen Privatdetektiv einsetzen?
Die erste Frage ließ
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