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Zuerst dachte ich, dass sie vielleicht Fische darstellten, die Schwanzflossen nach außen gestreckt. Fische… für arti-fischiell? Dann glaubte ich, Wale in ihnen zu erkennen – Pottwale –, die ihre großen Köpfe zusammensteckten.
Welche Symbolik verbarg sich darin? Die langlebigen, aber immer vom Aussterben bedrohten Wale schienen das genaue Gegenteil von Ditos zu sein, die zwar nur ein kurzes Leben haben, aber jeden Tag in großer Zahl geschaffen werden, vom Einfallsreichtum und den Wünschen der Menschen.
Es erinnerte mich ein wenig an das Mandala-Emblem des Techniker-Priesters von Letzte Möglichkeiten, der Irenes versuchte Transzendenz inszeniert hatte. Im Detail unterschieden sich die beiden Gruppen natürlich, aber sie rangen mit dem gleichen Problem: Wie soll man das Seelenprägen mit religiösem Empfinden in Einklang bringen? Nun, mir stand es nicht zu, darüber zu urteilen.
Na schön, ich mag diese Eintägigen-Leute. Ich schulde ihnen den einen oder anderen Gefallen. Trotzdem musste ich Zurückhaltung üben.
Alexie beendete den Scan und erklärte uns für sauber. Plötzlich fühlte ich mich frei, zum ersten Mal seit… nun, seit ich Pal, Lum und Gadarene im alten Scooterpark begegnet und in diese schmutzige Sache verstrickt worden war.
»Jetzt kann ich zu Hause anrufen!«, freute sich Palloid und vergaß sein Schweigegelöbnis. »Warte nur, bis ich mir von meinen Erlebnissen erzählt hab! Das wird ein Inload!«
Alexie neigte den Kopf zur Seite, kniff die Augen zusammen und erkannte vielleicht etwas Vertrautes in Pals Sprechmuster. Ich ließ ihr nicht die Zeit, genauer darüber nachzudenken.
»Mein kleiner Freund und ich brauchen einen sicheren Netzzugang«, sagte ich. »Haben Sie zwei Tschadors, die wir benutzen können?«
Die Frau nickte nach einer unsicheren Pause und deutete auf einen Kleiderständer. Zwei schwarze, formlose Umhänge hingen dort neben einem Schreibtisch. »Sie sind kürzlich gereinigt worden und garantiert ohne Wanzen.«
»In Ordnung, vielen Dank.« Ich ging zum Kleiderständer.
»Damit Sie Bescheid wissen…«, fügte Alexie hinzu. »Ich habe die Wachsamware-Dienste abonniert. Versuchen Sie also nichts Illegales, während Sie unseren Zugang benutzen. Erledigen Sie den schmutzigen Kram woanders.«
»Ja, Ma’am.«
Alexie runzelte die Stirn. »Kann ich darauf vertrauen, dass Sie beide hier nichts anderes anrühren, während ich zurückkehre und weiteren Patienten helfe?«
Palloid nickte nachdrücklich. »Wir wissen Ihre Freundlichkeit sehr zu schätzen und stehen tief in Ihrer Schuld«, sagte ich.
»Hm. Vielleicht können Sie mir eines Tages erklären, warum Sie noch immer auf den Beinen sind, obwohl Sie sich längst aufgelöst haben sollten.«
»Eines Tages. Versprochen.«
Sie ging mit einem letzten skeptischen Blick, und als sie fort war, richtete ich einen fragenden Blick auf Palloid. »Na schön!«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht habe ich sie nicht verdient. Kommen wir jetzt zur Sache. Kaolin wird sich nicht lange täuschen lassen.«
Mein kleiner Freund sprang auf den Schreibtisch, und ich half ihm, unter einen Tschador zu schlüpfen, damit die aktive Kapuze ihn bedeckte und sich seiner Körperstruktur anpasste. Ich streifte den anderen über und ließ den schwarzen Stoff über meine Arme gleiten, bis hinab zur Taille. Von außen betrachtet wirkte ich nun wie eines jener verhüllten Geschöpfe, aus der dunklen Zeit vor einem halben Jahrhundert, als ein Drittel aller Länder der Erde Frauen gezwungen hatte, Gesicht und Körper unter formlosen Zelten aus Musselin und Gaze zu verbergen. Eine Ironie des Schicksals wollte, dass aus dieser Unterdrückung etwas Befreiendes wurde, als die Tschadors Zugang zum Netz gewährten.
Befreiung von innen…
Ich befand mich plötzlich in einem anderen Universum, im wundervollen Kosmos der virtuellen Realität, wo sich Daten und Illusionen mit Farben und synthetischer Tiefe mischten. In den Stoff des Tschadors integrierte Sensoren registrierten die Position von Armen und Fingerspitzen, reagierten auf jeden einzelnen Atemzug und selbst das leiseste Brummen meines simulierten Kehlkopfs. Einige gemurmelte Anweisungen, und wenige Sekunden später hatte ich drei aktive Nachrichtenwelten.
Die erste zeigte mir die qualmenden Reste meines Hauses… Alberts Haus. Freeware-Korrelatoren kamen aus der umgebenden Web-Landschaft und baten um Erlaubnis, Daten über den tragischen Unfall für mich zu sammeln. Einige dieser
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