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Beratern führen können. Trotzdem, so elegant wie bei Wammakers ist es hier nicht. Offenbar dehnt die Maestra ihre Aktivitäten aus.
»Bitte warten Sie«, sagt die Assistentin und zeigt auf einen Holzstuhl mit gerader Rückenlehne – zweifellos eine wertvolle Antiquität, und außerdem unbequem. Als die Graue fortgegangen ist, stehe ich sofort wieder auf. Meine Golem-Rohlinge verfügen über verstärkte Gelenke. Ich brauche nicht zu sitzen.
Bestimmt lässt man mich warten, und deshalb hole ich eine billige Lesetafel hervor und bestelle das Journal für antisoziale Neigungen. Seit Ritu Maharal behauptet hat, jemand hätte ihren Vater umgebracht, habe ich daran gedacht, mich über Mord zu informieren. (Ich frage mich, was der Graue Nummer Eins macht. Hat er bereits irgendwelche Schlüsse gezogen?) Aber nach dem Weg durch Studio Neo befassen sich meine Gedanken mit einem neuen Problem: Dekadenz.
Haben die neuen Puritaner Recht? Führt die Golem-Technik bei uns immer mehr zu emotionaler Verrohung und Gefühllosigkeit?
Clara bezeichnet diesen Ort als »Seelenschwiele«.
»Heute können wir in Verderbtheit schwelgen, ohne mit Krankheiten und dergleichen dafür zu bezahlen«, hat sie erst letzte Woche gesagt. »Das älteste Gewerbe der Welt wird für eine neue Ära modernisiert, ohne Gefängnisse und Prüderie, ohne die Notwendigkeit von Empathie. Na wunderbar.«
Was mich betrifft… Normalerweise bin ich weniger zynisch. In vielerlei Hinsicht ist das Leben besser. Reicher. Toleranter. Niemand schert sich darum, welche Braunschattierung die reale Haut hat.
Doch meine Grauen unterscheiden sich ein wenig voneinander, und dieser beginnt zu ahnen, dass Clara Recht haben könnte.
Ich blinzele und stellte fest, dass die Lesetafel bereits einen ausgewählten Artikel des Journals zeigt. Offenbar habe ich einen Iris-Erweiterungsscan vorgenommen, während mir düstere Gedanken durch den tönernen Kopf gingen. (Wer sagt, Ditos hätten kein Unterbewusstsein?)
SUBLIMIERUNG DES UNSTERBLICHKEITSIMPULSES:
EINE RÜCKKEHR ZUR NEKROMANTIE?
Autsch. Welch ein Titel für einen wissenschaftlichen Artikel! Normalerweise nicht mein Fall. Aber es ist ein interessantes Thema, und ich frage mich…
»Mr. Morris?«
Es ist die Assistentin. Ich habe damit gerechnet, länger warten zu müssen. Vielleicht ist Wammaker diesmal tatsächlich über etwas besorgt.
Ich sehe auf und stelle fest, dass der graue Dito der Assistentin blaue Augen hat.
»Die Maestra empfängt Sie jetzt.«
ES IST NICHT LEICHT, GRÜN ZU SEIN
… ODER WIE: DIENSTAGS DRITTER DITO GESCHWISTERRIVALITÄT ENTDECKT…
Ich bin heute nicht nur eine Kopie, sondern auch noch der Grüni.
Verdammt.
Es ist tausendmal und öfter geschehen, aber es fühlt sich noch immer wie eine Strafe an. Man bekommt eine lange Liste mit lästigen Aufgaben. Und man muss Risiken eingehen, auf die sich Herr Protokörper nie einlassen würde.
Ich beginne dieses Pseudoleben mit dunklen Gefühlen.
Oh, was für eine Stimmung. Archi muss wirklich müde sein, wenn er mich mit einer so missmutigen Stehenden Welle losschickt. Noch etwas schlimmer, und ich wäre zu einem Franki geworden…
Weg damit! Heute bist du eine Ameise.
Und eine grüne noch dazu. Überlass Philosophie jenen, die mehr davon verstehen.
GESTERN NACHT HAT SICH ein anderer Grüner Betas Kumpel vorgeknöpft und gewonnen. Ein Helden-Duplikat, das durch die Hölle gestapft ist, um wichtige Nachrichten zu überbringen. Ein Grüner kann also wichtig sein! Auch wenn die heutigen Aufgaben darin bestehen, Lebensmittel einzukaufen, die Toilette zu säubern, den Rasen zu mähen und andere Schrecken zu bewältigen.
Graue sind mit modernen Echtzeit-Rekordern ausgestattet. Mir bleibt nichts anderes übrig, als Aufzeichnungen mit einem Mikroband-Ring anzufertigen. Längst überholte Technik. Ich weiß gar nicht, warum ich mir die Mühe mache. Wenn Archi herausfinden möchte, was ich heute getan habe, kann er meine Erinnerungen inloaden.
BEI DER FAHRT DURCH DIE STADT sitze ich hinter dem Grauen Nummer Eins und kneife beide Augen zu, als er sich wie ein Irrer durch den Verkehr schlängelt, unser beider Pseudoleben riskiert und die Vespa fast in Schrott verwandelt. Schwachkopf.
Lasse ihn in einem Park zurück, wo er auf die Limousine von UK wartet, die man ihm schicken will. Er wird bald mit der schönen Ritu zusammentreffen, mit Rik Kaolin reden und vielleicht in einem Mordfall ermitteln.
Und später, vielleicht
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