Coq 11
ihm zurückfahren. Wir würden Sie in mehr als einer Hinsicht vermissen, aber ich kann Ihnen keinen Vorwurf machen, wenn Sie sich so entscheiden.«
Sie saßen in der Messe vor ihren Teegläsern, während um sie herum die Waren angeschleppt wurden.
»Wie viel Zeit haben wir?«, fragte Rashida Asafina fast aggressiv. »Schaffe ich das Interview mit Oberleutnant Zvi Eschkol und diesem Maschinisten Davis noch, oder wie der hieß?«
»Ja, aber aus naheliegenden Gründen machen wir das erst kurz bevor wir abtauchen. Satellitensignale von und zu Al-Dschasira werden höchstwahrscheinlich überwacht. Sobald wir mit dem Senden anfangen, wird die Zeit knapp.«
»Haben wir eine Alternative?«, fragte die Kamerafrau Ruwaida, die offenbar viel begieriger darauf war, sich aus dem Staub zu machen, als ihre Chefin.
»Ja«, sagte Carl. »Wir werden in zwölf Tagen einen Hafen anlaufen. Das wird ein großes öffentliches Ereignis. Dann haben Sie wieder die Gelegenheit, uns zu verlassen. Die Fahrt dorthin wird verglichen mit allem, was wir bislang unternommen haben, ziemlich ungefährlich; vorausgesetzt, wir überleben diese Aktion hier.«
»Dürfen wir unser Material mit dem Trawler verschicken?«, fragte Rashida.
»Selbstverständlich. Und – Achtung, ich beantworte Ihre nächste Frage gleich mit – die Videokassetten werden auch ankommen. Der Trawler gehört uns, und es liegt ebenso in unserem Interesse, dass dieses Material für die Nachwelt aufbewahrt wird.«
»Leider gehen uns langsam die Kassetten aus, wir wussten ja nicht, dass wir so lange unterwegs sein würden«, wendete Ruwaida ein.
»Da wir damit gerechnet haben, befinden sich irgendwo in unserem Vorratslager dreißig Betakassetten. Im Augenblick sind sie wahrscheinlich nicht leicht zu finden, aber daran soll Ihre Arbeit nicht scheitern.«
»Wann und wo legen wir an?«, fragte Rashida, die sich anscheinend entschieden hatte zu bleiben.
»In zwölf Tagen, wie gesagt. Wo, darf ich Ihnen natürlich nicht verraten. Wer an Bord bleibt, wird es bald erfahren, und ich glaube, Sie werden angenehm überrascht sein.«
»Und die Fahrt dorthin ist ungefährlich?«
»Ja. Das letzte Risiko, dass wir eingehen, ist die Satellitenverbindung. Danach verschwinden wir von der Bildfläche.«
»Wie lange werden wir an dem Ort bleiben?«
»Drei oder vier Tage, glaube ich.«
»Und wir haben dort genügend Zeit, uns von Kollegen ablösen zu lassen?«
»Sicher. Falls Al-Dschasira weiterhin darauf besteht, als einziger Sender eingebettete Reporter an Bord der U-1 Jerusalem zu haben, lässt sich das organisieren.«
Die beiden Journalistinnen fingen beide gleichzeitig an, lauthals zu lachen, und klatschten ihre Handflächen gegeneinander wie Basketballspieler nach einem erfolgreichen Korbwurf. Für sie stand es außer Zweifel, dass der Fernsehsender Al-Dschasira weiterhin am Alleinrecht an Live-Schaltungen zur U-1 Jerusalem interessiert war.
Nachdem diese Frage geklärt war, musste nur noch das Interview mit den beiden israelischen Kriegsgefangenen vorbereitet werden, wie sie bei Al-Dschasira genannt wurden.
In den folgenden Tagen sollte in den Medien oft der Begriff Stockholmsyndrom fallen. Die Bezeichnung ging auf einen Bankraub Anfang der Siebzigerjahre in Schweden zurück: Zwei Bankräuber hatten tagelang Geiseln in ihrer Gewalt gehabt. Die Geschichte hatte geendet, wie solche Fälle meistens endeten: Die Geiselnehmer hatten aufgegeben.
Das Erstaunliche war gewesen, dass die Geiseln, vor allem eine weibliche Bankangestellte, ihre Peiniger nach dem Ende des Geiseldramas in Schutz genommen hatten. Ihr Zorn hatte sich vor allem gegen die Polizei gerichtet, die ihrer Ansicht nach alle Beteiligten unnötig in Gefahr gebracht hatte.
Nun war das Stockholm-Syndrom wieder in aller Munde. Denn in dem Interview, das die inzwischen weltberühmte Rashida Asafina vor der palästinensischen Flagge am Turm der U-1 Jerusalem geführt hatte, hatten sowohl Oberleutnant Zvi Eschkol als auch der Maschinist Uri Davis vom torpedierten israelischen U-Boot Tekuma beteuert, ihre Behandlung an Bord sei vorzüglich, sogar das Essen schmecke besser als auf israelischen U-Booten, und Russen wie Araber würden ihnen mit Respekt begegnen. Man habe ihnen versichert, dass man sie gegen palästinensische Gefangene austauschen werde, und keiner von ihnen zweifle dieses Versprechen an.
Aufgrund der erstklassigen medizinischen Versorgung gehe es allen gut. Auch er wiederholte noch einmal, dass die
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