Coraline
viel zu tun«, sagte er. »Arbeit«, fügte er noch hinzu. Er hatte sich immer noch nicht umgedreht, um sie anzusehen. »Willst du nicht zu Miss Spink und Miss Forcible gehen und ihnen auf die Nerven fallen?«
Coraline zog ihren Mantel an, setzte die Kapuze auf und verließ das Haus. Sie ging die Treppe hinunter und klingelte an der Wohnungstür von Miss Spink und Miss Forcible. Wildes Gekläffe war zu hören, als die Terrier in den Flur hinausliefen. Nach einiger Zeit machte Miss Spink die Tür auf.
»Ach, du bist’s, Caroline«, sagte sie. »Angus, Hamish, Bruce – aus jetzt, ihr Süßen. Das ist doch nur Caroline. Komm herein, Liebes. Möchtest du einen Tee?«
Die Wohnung roch nach Möbelpolitur und Hunden.
»Ja, bitte«, sagte Coraline.
Miss Spink führte sie in ein staubiges kleines Zimmer, das sie Salon nannte. An den Wänden hingen SchwarzWeiß-Fotos von hübschen Frauen und gerahmte Theaterprogramme. Miss Forcible saß in einem Sessel und strickte eifrig.
Sie schenkten Coraline Tee in eine kleine rosa Porzellantasse mit Untertasse ein. Dazu gaben sie ihr einen trockenen Keks mit Rosinen.
Miss Forcible sah zu Miss Spink hinüber, nahm ihr Strickzeug auf und holte tief Atem. »Jedenfalls, wie gesagt, April: Du kannst nicht leugnen, dass ich noch lange nicht zum alten Eisen gehöre.«
»Miriam, meine Liebe, wir sind beide nicht mehr so taufrisch, wie wir mal waren.«
»Madame Arcati«, gab Miss Forcible zurück. »Die Amme in Romeo und Julia . Lady Bracknell. Charakterrollen. Von der Bühne kann man nicht in den Ruhestand geschickt werden.«
»Also, Miriam, wir waren uns doch einig«, sagte Miss Spink. Coraline begann, sich zu fragen, ob die beiden ganz vergessen hatten, dass sie da war. Was sie redeten, ergab nicht viel Sinn. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sie einen Streit ausfochten, der so alt und kuschelig wie ein bequemer Sessel war, so ein Streitgespräch, bei dem niemand richtig gewinnt oder verliert, das aber bis in alle Ewigkeit weitergehen kann, wenn beide Parteien dazu bereit sind.
Sie trank ihren Tee.
»Ich kann dir die Teeblätter lesen, wenn du möchtest«, sagte Miss Spink zu Coraline.
»Bitte?«, sagte Coraline.
»Die Teeblätter in der Tasse, Liebes. Ich kann dir daraus die Zukunft lesen.«
Coraline reichte Miss Spink ihre Tasse. Miss Spink betrachtete mit kurzsichtigem Blick die schwarzen Teeblätter unten in der Tasse. Sie spitzte die Lippen.
»Weißt du, Caroline«, sagte sie nach einer Weile, »du befindest dich in großer Gefahr.«
Miss Forcible stieß ein Schnauben aus und legte ihr Strickzeug nieder. »Sei nicht albern, April. Mach dem Mädchen keine Angst. Deine Augen haben nachgelassen. Gib mir doch mal die Tasse, Kind.«
Coraline brachte die Tasse zu Miss Forcible hinüber. Miss Forcible musterte sie gründlich, schüttelte den Kopf und musterte sie noch einmal.
»Ach du meine Güte«, sagte sie. »Du hattest recht, April. Sie ist in Gefahr.«
»Da kannst du mal sehen, Miriam«, sagte Miss Spink triumphierend. »Meine Augen sind so gut wie eh und je . . .«
»In was für einer Gefahr bin ich denn?«, fragte Coraline.
Miss Spink und Miss Forcible sahen sie verständnislos an.
»Das war nicht zu erkennen«, sagte Miss Spink. »Für so was taugen Teeblätter auch nicht. Nicht zuverlässig. Sie sind gut für das Allgemeine, aber nicht für Einzelheiten.«
»Und was tu ich dagegen?«, fragte Coraline, die jetzt doch etwas beunruhigt war.
»Auf Holz klopfen«, schlug Miss Spink vor.
»Und nie in den Kulissen pfeifen«, fügte Miss Forcible noch hinzu.
Coraline konnte sich nur wundern, wieso von den Erwachsenen, die ihr bisher untergekommen waren, so wenige etwas sagten, was einen Sinn ergab. Manchmal fragte sie sich, ob sie überhaupt wussten, wen sie vor sich hatten.
»Und sei ganz, ganz vorsichtig«, sagte Miss Spink. Sie stand aus dem Sessel auf und trat an den Kamin. Auf dem Kaminsims stand ein kleines Einmachglas. Miss Spink nahm den Deckel ab und fischte verschiedene Gegenstände aus dem Glas: eine winzige Porzellanente, einen Fingerhut, eine seltsame kleine Messingmünze, zwei Büroklammern und einen Stein mit einem Loch in der Mitte.
Sie gab Coraline den Stein mit dem Loch.
»Was macht man damit?«, fragte Coraline. Das Loch in der Mitte ging durch den ganzen Stein. Sie hielt ihn zum Fenster hin und schaute hindurch.
»Vielleicht hilft er ja«, sagte Miss Spink. »So was ist manchmal ganz gut, wenn einem etwas Böses begegnet.«
Coraline zog ihren
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