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Coraline

Coraline

Titel: Coraline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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flackerte darin.
    Eine Stimme flüsterte in ihrem Kopf: »Wahrlich, Lady, wenn ich jetzt näher darüber nachdenke, fällt es mir wieder ein, dass ich tatsächlich ein Junge war. Ach, aber du musst dich sputen. Es gilt, noch zwei andere von uns zu finden, und die alte Vettel ist schon böse auf dich, weil du mich gefunden hast.«
    Wenn ich das zu Ende bringe, dachte Coraline, dann aber auf keinen Fall in ihren Kleidern. Sie zog sich wieder ihren Schlafanzug und den Morgenmantel an und schlüpfte in die Pantoffeln. Den grauen Pullover und die schwarzen Jeans hinterließ sie säuberlich zusammengelegt auf dem Bett, die orangefarbenen Stiefel auf dem Fußboden neben der Spielzeugkiste.
    Sie steckte die Murmel in die Tasche ihres Morgenmantels und trat auf den Flur hinaus.
    Etwas stach ihr in Gesicht und Hände, wie Sand, der an einem windigen Tag am Strand durch die Luft wirbelt. Sie schlug die Hände vor die Augen und ging weiter.
    Der stechende Sand wurde immer ärger und das Gehen fiel ihr zunehmend schwer, so als müsste sie sich bei besonders stürmischem Wetter gegen den Wind stemmen. Und der Wind war heftig und kalt.
    Sie wich einen Schritt zurück, in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    »Oh, geh doch«, flüsterte ihr eine Geisterstimme ins Ohr, »die alte Vettel ist nämlich zornig.«
    Sie trat in den Flur, in den nächsten Windstoß hinein, der ihr Gesicht und Hände mit unsichtbaren Sandkörnern zerstach, die so spitz wie Nadeln waren, so scharfkantig wie Glasscherben.
    »Halt dich an die Spielregeln«, rief Coraline in den Wind.
    Es kam keine Antwort, aber der Wind peitschte nur noch einmal um sie herum, zog sich dann verdrossen zurück und verschwand. In der unvermittelten Stille hörte Coraline, die gerade an der Küche vorbeikam, das Klopf-Klopf des undichten Wasserhahns, oder vielleicht waren es auch die langen Fingernägel der anderen Mutter, die ungeduldig auf der Tischplatte trommelte. Coraline hätte am liebsten nachgesehen, widerstand aber diesem Drang.
    Mit zwei großen Schritten erreichte sie die Wohnungstür und ging ins Freie.
    Sie stieg die Treppe hinunter und ging um das Haus, bis sie zur Wohnung der anderen Miss Spink und Miss Forcible kam. Die blinkenden Lämpchen um die Tür gingen jetzt nur noch willkürlich an und aus und bildeten keine Wörter, die Coraline hätte ausmachen können. Die Tür war zu. Coraline befürchtete, dass sie abgeschlossen war, und sie stieß mit aller Kraft dagegen. Zuerst klemmte sie, aber dann gab sie so plötzlich nach, dass Coraline mit einem Ruck in den dunklen Raum dahinter stolperte.
    Coraline nahm den Stein mit dem Loch in der Mitte fest in die Hand und ging in die Dunkelheit hinein. Sie rechnete damit, einen mit Vorhängen abgeteilten Vorraum vorzufinden, aber es war nichts da. Der Raum war dunkel. Das Theater war leer. Vorsichtig ging sie weiter. Über ihr raschelte etwas. Sie schaute hoch, in eine noch tiefere Finsternis hinein, und dabei stieß sie mit dem Fuß irgendwo dagegen. Sie bückte sich, ertastete eine Taschenlampe, hob sie auf und knipste sie an, schwenkte den Lichtstrahl durch den Raum.
    Das Theater lag verlassen da und war hoffnungslos heruntergekommen. Kaputte Sitze lagen auf dem Boden und die Wände waren mit alten, staubigen Spinnweben behangen. Auch von dem vermoderten Holz und den verrotteten Samtvorhängen hingen Spinnweben herab.
    Wieder raschelte etwas. Coraline richtete den Strahl der Taschenlampe nach oben, zur Decke hin. Dort waren irgendwelche Wesen, haarlos, gallertartig. Coraline dachte, dass sie früher einmal vielleicht Gesichter gehabt hatten, womöglich sogar Hunde gewesen waren, aber Hunde hatten keine Fledermausflügel und konnten nicht wie Spinnen oder Fledermäuse kopfunter hängen.
    Das Licht schreckte die Wesen auf, sodass eines davon in die Luft abhob. Die Flügel schwirrten wuchtig durch den Staub und Coraline zog den Kopf ein, als das Wesen dicht an ihr vorbeisauste. An einer gegenüberliegenden Wand landete es und begann, mit dem Kopf nach unten wieder zu dem Nest der Fledermaushunde an der Decke hochzuklettern.
    Coraline hielt sich den Stein vors Auge und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie hielt Ausschau nach etwas, das leuchtete oder glitzerte, nach irgendei nem verräterischen Anzeichen dafür, dass sich irgendwo in diesem Raum eine weitere versteckte Seele befand. Suchend ließ sie den Strahl der Taschenlampe durch den Raum gleiten. Im dicken Staub in der Luft wirkte der Lichtstrahl fast wie

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