Coraline
war wie das Tropfen des Wasserhahns über dem Spülbecken. Und dann begriff Coraline, dass es tatsächlich nur die Wassertropfen waren und dass sie sich allein in der Küche befand.
Ein Schauder durchlief Coraline. Ein fester Standort der anderen Mutter war ihr lieber; wenn sie nirgends war, konnte sie überall sein. Und schließlich fürchtete man sich immer leichter vor etwas, was man nicht sehen konnte. Sie langte in die Tasche und ihre Finger schlossen sich um die beruhigende Form des Steins mit dem Loch in der Mitte. Sie holte ihn aus der Tasche, hielt ihn wie eine Pistole vor sich und trat in den Flur hinaus.
Es war kein Laut zu hören, nur das Klopf-Klopf des Wassers, das in das Metallbecken tröpfelte.
Sie warf einen Blick auf den Spiegel am Ende des Flurs. Einen Augenblick lang beschlug er und Coraline kam es so vor, als glitten undeutliche, konturlose Gesichter durch das Spiegelglas, und dann waren die Gesichter verschwunden und im Spiegel war nur noch ein Mädchen zu sehen, das klein für sein Alter war und etwas in der Hand hielt, das aussah wie ein grünes Kohlestück, von dem ein zartes Leuchten ausging.
Überrascht sah Coraline auf ihre Hand hinunter. Es war einfach nur ein Kieselstein mit einem Loch darin, ein x-beliebiger brauner Kiesel. Dann schaute sie wieder in den Spiegel, in dem der Stein wie ein Smaragd funkelte. Ein Pfad aus grünem Feuer ging von dem Kieselstein im Spiegel aus und schwebte zu Coralines Zimmer.
»Hmm«, sagte Coraline.
Sie ging in ihr Zimmer. Als sie es betrat, begannen die Spielsachen, aufgeregt zu flattern, als freuten sie sich, sie zu sehen. Ein kleiner Panzer fuhr ihr aus der Spielzeugkiste entgegen, wobei seine Raupenketten mehrere andere Spielsachen überrollten. Er fiel von der Spielzeugkiste zu Boden, überschlug sich im Fallen und landete auf dem Teppich. Dort lag er wie ein Käfer auf dem Rücken und bewegte brummend und knirschend seine Raupenketten, bis Coraline ihn aufhob und wieder umdrehte. Beschämt verzog er sich unter das Bett.
Coraline sah sich im Zimmer um.
Sie schaute in den Schränken und allen Schubladen nach. Dann hob sie die Spielzeugkiste an einer Seite an und kippte alle Spielsachen auf den Teppich, wo sie schimpften und sich streckten und unbeholfen versuchten, sich von den anderen loszumachen. Eine graue Murmel kullerte über den Fußboden und stieß klackend gegen die Wand. Coraline fand, dass keins der Spielzeuge so besonders nach einer Seele aussah. Sie hob ein Silberarmband auf und musterte es genauer. Als Anhänger hatte es winzig kleine Tiere, die einander rund um das Armband jagten, wobei der Fuchs niemals das Kaninchen fing und der Bär den Fuchs niemals einholte.
Coraline öffnete ihre Hand und betrachtete den Stein mit dem Loch in der Mitte. Sie hoffte auf einen Hinweis, konnte aber keinen entdecken. Die meisten der Spielsachen aus der Spielzeugkiste waren inzwischen davongekrabbelt und hatten sich unter dem Bett versteckt und bei den wenigen Spielsachen, die noch übrig waren (ein grüner Plastiksoldat, die Glasmurmel, ein knallrosa Jo-Jo und Ähnliches), handelte es sich um Dinge, die man auch in der wirklichen Welt unten in Spielzeugkisten findet: vergessene Gegenstände, ungeliebt und längst verworfen.
Sie wollte schon gehen und woanders suchen. Und dann fiel ihr eine Stimme in der Dunkelheit ein, ein zartes Flüstern, und sie wusste wieder, was die Stimme ihr geraten hatte. Sie hielt den Stein mit dem Loch in der Mitte hoch und führte ihn vors rechte Auge. Dann kniff sie das linke Auge zu und betrachtete das Zimmer durch das Loch im Stein.
Durch den Stein gesehen, war die Welt so grau und farblos wie eine Bleistiftzeichnung. Alles darin war grau – nein, doch nicht alles. Auf dem Fußboden glitzerte etwas, das die Farbe von Glut im Kamin eines Kinderzimmers hatte, die Farbe einer purpurrot und orangefarben geflammten Tulpe, die sich in der Maisonne wiegt. Voller Angst, es könnte verschwinden, wenn sie den Blick davon abwandte, streckte Coraline die linke Hand aus und tastete nach dem glühenden Ding.
Ihre Finger schlossen sich um etwas Glattes, Kühles. Sie riss schnell die Hand hoch, nahm dann den Stein mit dem Loch in der Mitte von ihrem Auge und sah nach unten. Auf ihrer rosigen Handfläche lag stumpf und trübe die graue Glasmurmel vom Boden der Spielzeugkiste. Sie hielt sich den Stein wieder vors Auge und betrachtete die Murmel durch das Loch in der Mitte. Und wieder glühte die Murmel auf und rotes Feuer
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