Coraline
würden wir verdorren und verbrennen.«
»Ach«, sagte Coraline.
Sie machte die Augen zu, sodass die Dunkelheit noch dunkler wurde, bettete ihren Kopf auf den zusammengerollten Pullover und schlief ein. Im Einschlafen vermeinte sie, einen Gespensterkuss auf der Wange zu spüren, ganz sacht und liebevoll, und ein kleines Stimmchen flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die Stimme war so leise, dass sie kaum zu vernehmen war, ein zarter, dünner Hauch einer Stimme, so gedämpft, dass Coraline fast glauben konnte, sie sich nur einzubilden. »Schau durch den Stein«, sagte die Stimme.
Und dann schlief Coraline ein.
8 .
D ie andere Mutter sah gesünder aus als zuvor. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Haare räkelten sich wie träge Schlangen bei warmem Wetter um ihren Kopf. Ihre schwarzen Knopfaugen sahen aus wie frisch poliert.
Sie hatte sich durch den Spiegel geschoben, als ginge sie durch nichts, was ihr mehr Widerstand geboten hätte als Wasser. Dann hatte sie auf Coraline hinuntergeschaut und mit dem kleinen Silberschlüssel die Tür aufgeschlossen. Sie hatte Coraline hochgehoben, wie es Coralines richtige Mutter getan hatte, als Coraline noch viel kleiner war, und das halb schlafende Kind wie ein Baby in den Armen gewiegt.
Die andere Mutter trug Coraline in die Küche und setzte sie ganz behutsam auf der Arbeitsplatte ab.
Coraline hatte Mühe, richtig wach zu werden. Im ersten Augenblick nahm sie nur wahr, dass sie gehätschelt und liebevoll gekuschelt wurde, und sie konnte gar nicht genug davon kriegen, doch dann ging ihr auf, wo sie sich befand und wer bei ihr war.
»So, meine süße Coraline«, sagte ihre andere Mutter, »ich hab dich wieder aus dem Schrank geholt. Es war nötig, dir eine Lektion zu erteilen, aber wir lassen hier Gnade vor Recht ergehen. Wir hassen die Sünde und lieben doch den Sünder. Also, wenn du ein artiges Kind bist, das seine Mutter liebt und gehorsam und höflich ist, dann werden wir uns prächtig verstehen und auch die Liebe zwischen uns wird prächtig gedeihen.«
Coraline rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Dort drin waren auch noch andere Kinder«, sagte sie. »Ganz alte, aus einer fernen Vergangenheit.«
»Ach ja?«, sagte die andere Mutter. Sie lief geschäftig zwischen Pfannen und Kühlschrank hin und her, holte Eier und Käse, Butter und ein Stück rosafarbenen Speck.
»Ja«, sagte Coraline. »Sie waren da. Ich glaube, du hast vor, aus mir auch so jemanden zu machen. Eine tote Hülse.«
Ihre andere Mutter lächelte sanft. Mit einer Hand schlug sie die Eier in eine Schüssel, mit der anderen verrührte sie die Eier und schlug sie schaumig. Dann gab sie ein Stück Butter in eine Bratpfanne. Die Butter zischte und brutzelte und drehte sich um die eigene Achse, während die andere Mutter den Käse in dünne Scheiben schnitt. Sie goss die geschmolzene Butter zu den Eiern, gab den Käse dazu und schlug das Ganze noch mal auf.
»Also, ich finde, du benimmst dich reichlich albern, Liebes«, sagte die andere Mutter. »Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieb haben. Und an Gespenster glaubt sowieso kein vernünftiger Mensch – deshalb sind sie ja alle solche Lügner. Riech nur mal, was für ein leckeres Frühstück ich dir mache.« Sie goss die gelbe Mixtur in die Pfanne. »Käse-Omelett. Dein Lieblingsessen.«
Coraline lief das Wasser im Mund zusammen. »Du spielst gern«, sagte sie. »Das hat man mir jedenfalls gesagt.«
Die Augen der anderen Mutter blitzten auf, aber sie sagte nur: »Spiele mag doch jeder.«
»Ja«, sagte Coraline. Sie stieg von der Arbeitsplatte herunter und setzte sich an den Tisch.
Der Speck brutzelte und schmurgelte unter dem Grill. Es duftete herrlich.
»Wär’s nicht viel schöner für dich, wenn du mich nach allen Regeln der Kunst gewinnen würdest?«, fragte Coraline.
»Kann schon sein«, sagte die andere Mutter. Sie gab sich ganz unbekümmert, aber ihre Finger zuckten und trommelten und sie leckte sich mit ihrer scharlachroten Zunge die Lippen. »Was genau bietest du an?«
»Mich«, sagte Coraline und hielt ihre Knie unter dem Tisch fest umklammert, damit sie nicht zitterten. »Wenn ich verliere, bleibe ich für immer und ewig bei dir und lasse mich von dir lieben. Ich werde eine äußerst pflichtbewusste Tochter sein. Ich werde essen, was du mir kochst, und ich spiele Karten mit dir und mache auf glückliche Familie. Und ich lass mir Knöpfe in die Augen nähen.«
Ihre andere Mutter starrte sie an, ohne auch nur ein einziges Mal mit
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