Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
den Rücken zukehrte,
zog Melissa rasch ihr Kleid aus und schlüpfte in Hemd und langer Unterhose
unter die Decken.
»Ich habe es mir überlegt«,
verkündete sie dann mit einer Zuversicht, die sie nicht empfand. »Ich werde meiner
Familie beweisen, daß ich imstande bin, allein für mich zu sorgen.«
Es klopfte, und der Kellner brachte
eine Kanne heißen Saft. Als er fort war, schenkte Quinn ein Glas für Melissa
ein. »Ich kann es kaum erwarten, Ihre Pläne zu erfahren. Miss Corbin«, bemerkte
er mit nachsichtigem Lächeln.
Sie nippte an dem heißen Getränk.
»Ich werde keinen Pfennig von meinem Treuhandfonds anrühren und auch nicht das
Konto meiner Mutter in Anspruch nehmen.«
»Drastische Maßnahmen«, bemerkte er
schmunzelnd.
»Allerdings besitze ich ein bißchen
eigenes Geld, das ich mir mit dem Schreiben verdient habe.«
Quinn seufzte. »Was denkt eigentlich
Ihre Familie über Ihren ... schriftstellerischen Ehrgeiz?«
Melissa senkte den Kopf. »Sie wissen
nichts davon«, gestand sie leise. »Außer Banner.«
»Banner?«
»Meine Schwägerin.« Melissa war sehr
stolz auf Adams Frau. »Banner ist Ärztin — keine Krankenschwester oder Hebamme,
sondern eine richtige Ärztin. Meine andere Schwägerin, Fancy, war
Zauberkünstlerin, und Keith' Frau Tess ist Fotografin.«
Quinn pfiff anerkennend durch die
Zähne, aber dann zerstörte er alles, indem er sagte: »Die Ärztin ist bestimmt
so häßlich, daß selbst ein Grizzlybär bei ihrem Anblick tot umfallen würde.«
Melissa lächelte. »Ich werde meinem
Bruder erzählen, was Sie gesagt haben«, erwiderte sie mit drohendem Unterton.
Ein anzügliches Lächeln spielte um
Quinns Lippen. »Tun Sie das ruhig, Melissa. Ich habe keine Angst vor Ihren
Brüdern.«
»Was nur beweist, wie dumm Sie sind.
Aber das ist unwichtig. Hält der Zug in Seattle, Mister Rafferty?«
»Ja, ganz kurz. Warum?« erkundigte
er sich stirnrunzelnd.
»Weil das Geld, von dem ich sprach,
dort auf einem Konto liegt.«
Quinn räusperte sich und beugte sich
mit ernster Miene vor. »Hören Sie, Melissa ... ich finde, Sie sollten sich das
alles noch einmal gründlich überlegen. Immerhin sind Sie nur eine Frau und ganz
allein auf der Welt ...«
»Allein? Wieso?« unterbrach sie ihn
heiter. »Ich habe Sie doch, Mister Rafferty.«
»Mich?« entgegnete er verdutzt.
Melissa nickte. »Natürlich. Und
obwohl Sie meinen guten Ruf in Gefahr gebracht haben, bin ich Ihnen etwas
schuldig. Ich werde mit Ihnen nach Port Riley fahren, mir ein Zimmer nehmen,
einen Job suchen und mich bemühen, ein neues Leben zu beginnen.«
Quinn war so entgeistert, daß ihm
die Worte fehlten. Als er endlich die Sprache wiederfand, protestierte er heftig:
»Das können Sie nicht machen!«
Melissa musterte ihn erstaunt.
»Warum denn nicht?«
Doch dann kam ihr ein schrecklicher
Gedanke. »Sind Sie verheiratet?«
»Nein, nein, das nicht«, erwiderte
Rafferty. »Aber es gibt eine Frau, die ich ...«
Dieses Eingeständnis verletzte
Melissa, obwohl Mister Raffertys Privatleben sie ja eigentlich gar nichts
anging. Sie biß sich auf die Lippen und zwang Tränen in ihre Augen: ein Trick,
der bei Jeff und Keith noch nie seine Wirkung verfehlt hatte.
»Gillian würde es nicht verstehen.«
»Gillian?« wiederholte Melissa.
Quinn sprang auf. »Verdammt! Hören
Sie auf, mich so anzusehen! Das halte ich nicht aus.«
»Ich kann nicht nach Hause zurück«,
flüsterte sie.
Quinn ließ die Arme hängen. »Sie
könnten nach Seattle gehen«, schlug er mit leiser Verzweiflung in der Stimme
vor.
»Nein, da kenne ich zu viele Leute.«
»Das kann doch nur von Vorteil
sein!«
Melissa schob trotzig das Kinn vor.
»Nein, das ist es nicht. Meine Familie würde sehr schnell erfahren, wo ich bin,
und bevor ich wüßte, wie mir geschieht, säße ich wieder am heimischen Kamin!«
Quinn holte tief Luft und steckte
eine Faust in die Rocktasche. »Hören Sie mich an«, bat er mit erzwungener
Ruhe. »Ich habe nichts mit dieser Geschichte zu tun. Melissa, und ich habe mich
bisher wie ein wahrer Kavalier verhalten. Ich habe Ihnen mein Bett überlassen,
Sie gepflegt und die Situation nicht ausgenutzt, wie es viele andere Männer an
meiner Stelle getan hätten. Aber wenn Sie jetzt versuchen, alles zu zerstören,
was ich mir mühsam aufgebaut habe, ist es mit meiner Gutmütigkeit vorbei.«
Melissa schaute ihn mit unschuldiger
Meine an. »Wie sollte ich das?« erkundigte sie sich freundlich.
»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich
nicht
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