Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
mißbilligend betrachtete. Ganz offensichtlich hatte sie völlig falsche
Vorstellungen davon, was Melissas Anwesenheit in Mister Raffertys Luxuswaggon
betraf.
Melissa schloß die Augen. Wir müssen
in Spokane sein, dachte sie ergeben, aber nicht einmal der Gedanke regte sie
auf, dazu war sie viel zu krank.
Es wurde ein sehr anstrengender Tag.
Ab und zu gelang es ihr, Schlaf zu finden, aber das Fieber und ihre schmerzende
Kehle weckten Melissa immer wieder auf.
Sie war froh, als Mister Rafferty
abends wiederkam und Eloise fortschickte. Wie versprochen, hatte er Melissa ein
Geschenk mitgebracht.
Mit ihrer letzten noch verbleibenden
Kraft — Melissa war ganz sicher, am nächsten Morgen tot zu sein packte sie das
Geschenk aus. Es war ein Buch, und Melissa hätte laut gelacht, wenn sie sich
besser gefühlt hätte, denn sie hatte den Roman selbst geschrieben wenn auch
unter einen Pseudonym.
»Sie bringen uns Gulasch aus dem
Speisewagen«, sagte ihr Wohltäter, während er seine Krawatte abnahm. »Absoluter
Schwachsinn«, fügte er mit einem Blick auf das Buch hinzu. »Aber der
Buchhändler meinte, Frauen liebten so etwas.«
Er war vollkommen fassungslos, als
Melissa ihm das Buch an den Kopf warf.
Zwei
Quinn zog sich einen Sessel an Melissas
Bett, entschlossen, ihr Gesellschaft zu leisten, ob er nun erwünscht war oder
nicht. Um sie zu unterhalten, begann er ihr aus dem Buch vorzulesen, das sie
ihm gerade an den Kopf geworfen hatte. »Phoebe Wilkin war eine Frau, die
das Schicksal dazu bestimmt hatte, zerstört zu werden.« Quinn brach
ab und warf einen nachdenklichen Blick auf den Bucheinband, bevor er sich
umständlich räusperte und weiterlas.
Melissa machte es sich in ihrem Bett
bequem und war ganz Ohr. Obwohl sie Phoebes gefährliche Entscheidung selbst
geschrieben hatte, hörte sie gespannt zu. Ihre so sorgfältig gewählten Worte
klangen aus Mister Raffertys Mund völlig anders. Und irgendwie noch besser.
Er hatte erst zwei Seiten gelesen,
als es leise an der Tür klopfte.
Das Essen war gekommen. Quinn ließ
Melissa das Tablett benutzen, während er selbst auf der Bettkante aß.
»Benehmen Sie sich«, warnte er sie.
»Ein Buch lasse ich mir vielleicht noch ungestraft an den Kopf werfen, aber
einen Teller mit Gulasch ganz sicher nicht!«
Trotz ihrer unglücklichen Lage mußte
Melissa lächeln. Sie probierte das Gulasch und fand es genauso schmackhaft wie
die Mahlzeiten, die Maggie McQuire zu Hause zubereitete.
Quinn betrachtete sie stirnrunzelnd.
Er selbst hatte sein Essen noch nicht angerührt. »Wir haben ein Problem«, sagte
er, als handelte es sich um eine großartige Entdeckung.
»Wir haben eine ganze Reihe von
Problemen«, entgegnete Melissa mit krächzender Stimme.
Rafferty musterte das gerüschte
Hemd, das ihm gehörte und das Melissa trug, seit sie ihr nasses Hochzeitskleid
abgelegt hatte. »Sie haben nichts anzuziehen«, stellte er fest.
»Eine skandalöse Situation — bestens
dazu geeignet, den guten Ruf einer Dame zu zerstören.«
»Und was ist mit Ihrem Ruf, Mister
Rafferty?« wandte Melissa zaghaft ein.
Er lachte und zeigte seine weißen
Zähne. »Der kann nur verbessert werden.«
Melissa überlegte, ob sie ihm nicht
doch den Teller mit Gulasch an den Kopf werfen sollte, hielt es jedoch für
vernünftiger, sich zu beherrschen. Sie hatte großen Hunger — anscheinend war
der Tod doch noch nicht so nahe — und wollte sich keinen Bissen entgehen
lassen.
Quinns Blick fiel auf das Buch neben
Melissas Bett. »Es tut mir leid, daß mein Geschenk Ihnen nicht gefallen hat.«
Melissa kaute langsam und schluckte,
was bei ihrem schmerzenden Hals nicht ganz einfach war. »Es war nicht das
Geschenk, Mister Rafferty, sondern was Sie darüber gesagt haben.«
Er wirkte aufrichtig verblüfft. »Und
was war das?«
»Sie haben mein Buch >absoluten
Schwachsinn< genannt«, antwortete Melissa ruhig. »Ich habe lange und hart an
dem Manuskript gearbeitet, und wenn Phoebe auch zugegebenermaßen keine Emma
Bovary oder Jane Eyre ist, habe ich mir die größte Mühe mit ihr gegeben.«
Quinn starrte Melissa an. Sein Mund
war leicht geöffnet, und sie war versucht, einen Löffel Gulasch hineinzuschieben.
Aber wieder war der Gedanke, daß sie ihr Essen selber brauchte, stärker.
»Sie haben dieses Buch geschrieben?«
fragte Quinn entgeistert.
Melissa nickte stolz. »Ja. Dieses
und drei andere, wenn man die Groschenromane zählt, die ich unter dem Pseudonym Marshal S. Whidbine geschrieben habe.«
»Nicht
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