Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
barsch. Melissa hob trotzig das Kinn. »Die sollst du haben. Meine
Antwort ist nein, Mister Rafferty.«
Einundzwanzig
Am nächsten Morgen zog Melissa in ihr
Zimmer im State Hotel zurück, wo sie sich zehn Tage lang nur aufs Schreiben
konzentrierte. Nach Ablauf dieser Ruhezeit fühlte sie sich gesund und
vollkommen erholt.
Ein strahlend blauer Frühlingshimmel
spannte sich über der Stadt, als sie am elften Morgen zu ihrer Redaktion
hinüberging, wo Charlotte zwei Wochen lang eifrig geschuftet hatte.
Angetrunkene Seemänner zwinkerten Melissa vielsagend zu, als sie auf dem Weg
zum Rip Snorting Saloon an ihnen vorüberging.
Der große Raum strahlte vor
Sauberkeit, sogar die Druckerpresse war aufpoliert und glänzte. Melissa strich
gerade lächelnd mit der Hand darüber, als die Tür aufging und jemand
hereinkam.
Es war Emma Bradberry in Begleitung
eines kleinen, untersetzten Mannes mit einem buschigen weißen Schnurrbart und
einer Glatze. »Mein Vater«, erklärte Miss Emma kurz. »Mister Wilson Bradberry.
Papa, darf ich dir Mrs. — äh — Miss ...«
Melissa erbarmte sich Emmas und reichte
dem alten Herrn die Hand. »Melissa Corbin«, stellte sie sich lächelnd vor.
Wilson Bradberry räusperte sich
verlegen, und Melissa wußte plötzlich, daß sein Besuch nichts Gutes zu bedeuten
hatte. »Meine Tochter sagte, sie hätte Ihnen meine Druckerpresse verkauft, weil
Sie eine Zeitung herausgeben wollen.«
Melissa nickte. Aus dem Augenwinkel
sah sie Charlotte die Treppe hinunterkommen.
»Was wissen Sie über das
Verlagswesen, junge Dame?« erkundigte sich Mister Bradberry streng, jedoch
nicht unfreundlich.
»Nicht viel«, gab Melissa
achselzuckend zu. »Aber ich besitze einen Universitätsabschluß und habe bereits
einige Romane veröffentlicht.«
Das schien Mister Bradberry nicht zu
beeindrucken. »Aha«, sagte er nur, doch dann wurde er sehr nachdenklich und
schien die übrigen Anwesenden völlig vergessen zu haben.
»Was ist das Problem?« fragte
Melissa, als das Schweigen unerträglich wurde.
Mister Bradberry schreckte aus
seinen Überlegungen auf und sagte: »Wissen Sie, ich habe die neue Druckerpresse
extra aus New York kommen lassen und heute morgen das Land und Material
gekauft, um ein neues Gebäude für meine Zeitung zu errichten.«
Melissa hatte das Gefühl, daß sich
der Boden unter ihren Füßen auftat und sie verschlang. Port Riley war nicht
groß genug für zwei Tageszeitungen, und es war völlig klar, daß sie mit Mister
Bradberry nicht konkurrieren konnte. Er verfügte über Jahre der Erfahrung und
einen Ruf in der Stadt, während sie nichts als Träume besaß. Es war eine
bittere Einsicht für Melissa, aber sie war entschlossen, sich als gute
Verliererin zu zeigen. »Dann wünsche ich Ihnen sehr viel Glück.«
Mister Bradberry starrte sie
abschätzend an. Dann räusperte er sich wieder. »Sie sagen, Sie schrieben
Romane. Das ist etwas ganz anderes, als mit Nachrichten zu arbeiten.«
Melissa nickte. »Ich wollte es
lernen«, gab sie traurig zu.
Der alte Mann blickte sich
anerkennend um. »Ich gebe zu, daß Sie beachtlichen Mut besitzen, junge Frau.
Falls Sie immer noch Interesse haben sollten, wenn meine Druckerpressen laufen,
dann kommen Sie zu mir, und ich bringe Ihnen etwas bei.«
Ein schwacher Hoffnungsschimmer
erwachte in Melissa. Sie biß sich auf die Lippen und nickte. »Hätten Sie dann
auch eine Aufgabe für meine Freundin Charlotte?« wagte sie zu fragen. »Sie hat
hier die schwerste Arbeit getan.«
Mister Bradberry maß Charlotte mit
dem gleichen kühlen Interesse wie schon zuvor Melissa, dann nickte er abrupt.
»Wissen Sie, wir könnten eigentlich meine Pressen hier unterbringen, bis mein
neues Gebäude errichtet ist«, sagte er ganz unversehens. »Es würde vielleicht
ein bißchen eng, aber ...«
»Papa!« ergriff Emma zum ersten Mal
das Wort. »Das ist ein Saloon!«
»Mit vier Wänden und einem Dach«,
entgegnete Mister Bradberry trocken, während gleichzeitig ein aufgeregtes
Funkeln in seinen Augen erschien. »Was meinen Sie, Miss? Könnten wir zu einer
Einigung kommen?«
Melissa begann die positiven Seiten
der Sache zu betrachten. Je schneller Mister Bradberrys Zeitung veröffentlicht
wurde, desto schneller würde sie das Handwerk des Reporters lernen. »Ja«, sagte
sie rasch. »Ich glaube, das können wir.«
Mister Bradberry schüttelte erfreut
Melissas Hand, dann Charlottes, und versprach, seine Druckerpressen und alles
andere Material in wenigen Tagen liefern zu
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