Cordina's Royal Family 1-4
möchte mich hinter der Bühne umsehen.”
Hannah verließ die Loge und ging über eine Nebentreppe nach unten.
Sie hatte zehn Minuten Zeit, ehe jemand sie vermissen würde.
Kostüme wurden hinter der Bühne gewechselt, die Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Die meisten Schauspieler waren zu verkrampft, um ihr auch nur einen Blick zuzuwerfen. Nichts Ungewöhnliches. Dennoch, das Prickeln zwischen den Schulterblättern hielt an.
Chantels Garderobentür stand halb offen. Die Schauspielerin erhaschte einen Blick auf Hannah, zögerte und rief: „Lady Hannah!”
Hannah blieb an der Tür stehen. „Miss O’Hurley. Ihre Hoheit konnte nicht herunterkommen, aber Sie sollten wissen, dass sie von Ihrer Darstellung begeistert ist.”
„Danke.” Chantel legte den Fettstift weg, mit dem sie ihre Augen nachgezogen hatte. „Und was halten Sie von dem Stück?”
„Es ist packend. Ihre Interpretation der Julia ist atemberaubend.”
Mit einem Kopfnicken trat Chantel auf sie zu. Das übertriebene Bühnenmake-up ließ sie noch exotischer wirken. „Wissen Sie, ich wurde ins Showgeschäft hineingeboren. Es liegt mir im Blut. Und ich dachte immer, dass ein eingefleischter Schauspieler mühelos einen anderen erkennt.”
Sehr kühl und beinahe lächelnd blickte Hannah ihr in die Augen. „Ich vermute, das stimmt.”
„Vielleicht kommt es daher, dass ich zwar noch nicht weiß, ob ich Sie mag, aber weiß, dass ich Ihnen nicht vertraue.” Chantel rückte den Ausschnitt ihres Kleides für die nächste Szene zurecht. „Ich mochte Bennett immer sehr. Eine Frau wie ich kann nur sehr wenige Männer wirkliche Freunde nennen.”
Die Frau vor ihr strahlte Stärke und Ehrlichkeit aus. Hannah vergalt es ihr, so gut sie konnte. „Ich kann Ihnen sagen, dass Bennett ein ganz besonderer Mann ist und mir viel bedeutet.”
Chantel schwieg sekundenlang, wog ab, überlegte. „Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube Ihnen.” Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann mir zwar nicht denken, wieso Sie die spröde Unschuld spielen, aber ich denke, dass Sie Ihre Gründe dafür haben.”
„Auf die Bühne, Miss O’Hurley!”
Chantel prüfte ihr Aussehen noch einmal in einem bodenlangen Spiegel.
Sie hob das Kinn in einem anderen Winkel an und wurde zur Julia, während sie sich umdrehte, um an Hannah vorbeizugehen. „Darling”, sagte sie mit der Stimme ihrer Rolle, „Sie sollten wissen, dass Beige die absolut schlimmste Farbe für Sie ist.” Sie blinzelte und trat in die Kulisse.
Hannah stieß einen langen Seufzer aus. Sie hatte nichts Ungewöhnliches bemerkt, sie hatte niemanden gesehen, der nicht hierher gehörte, und sie hatte eine Lektion gelernt. Ihre Tarnung war nicht so narrensicher, wie sie stets gedacht hatte.
Sie ging den Korridor zurück und stieg im Treppenhaus wieder nach oben. Sie hörte den Applaus, als der Vorhang sich hob. Dann vernahm sie das ferne Grollen und Krachen einer Explosion.
Die Lichter erloschen.
Vereinzelte Schreie ertönten, als das Theater in Finsternis getaucht wurde. In der Fürstenloge rückten die Leibwächter wie eine Mauer zusammen. Waffen wurden gezogen und schussbereit gehalten.
„Bleibt, wo ihr seid!” rief Reeve und drückte kurz Gabriellas Hand. „Zwei kommen mit mir!” Er trat mit zwei Leibwächtern auf den Korridor. „Wir brauchen Licht.” Fluchend suchte er in seiner Tasche nach einem Feuerzeug. „Jemand muss über die Lautsprecher das Publikum an einer Panik hindern!”
Gerade als das Feuerzeug flackerndes Licht auf sein Gesicht warf, kam Chantels Stimme kühl und klar durch die Lautsprecher.
„Mesdames, Messieurs, behalten Sie bitte einen Moment Platz! Wir haben Schwierigkeiten mit dem Strom. Wenn Sie vielleicht die Gelegenheit nutzen wollen, um Ihren Sitznachbarn besser kennen zu lernen …”
„Gutes Mädchen”, sagte Reeve, als er nervöses Lachen hörte. „Gehen wir nach unten zu den Hauptsicherungen.”
Hannah ist nicht zurückgekommen, schoss es Bennett immer wieder durch den Kopf, während er hörte, wie Alexander beruhigend auf Eve einredete. Sie war irgendwo da draußen, allein in der Dunkelheit. Ohne zu zögern, schob er sich zur Tür.
„Hoheit.” Die hoch aufragende Gestalt eines Leibwächters drängte sich näher an ihn heran. „Bleiben Sie bitte sitzen!”
„Lassen Sie mich durch!”
„Bennett!” Die Stimme seines Vaters kam durch die Dunkelheit. „Bitte, setz dich! Das wird gleich vorbei sein.”
„Hannah ist nicht hier.”
Eine kurze Stille
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