Cordina's Royal Family 1-4
setzte ihre Diplomatenmiene auf und trank einen Schluck Wein.
„Nicht jeder Mensch kann sich alles aussuchen. Leider weiß ich wenig über Ihr Fachgebiet. Sie studieren … Knochen?”
„Manchmal.” Er zuckte beiläufig die Schultern, als sie fragend eine Augenbraue hochzog. Konversation, dachte er abfällig. Ihm war nie klar gewesen, was das eigentlich sollte. „Ich studiere untergegangene Zivilisationen, Lebensgewohnheiten, Bräuche, Traditionen, Religionen, Kulturen. Überlappt sich alles bei der Archäologie. Und Knochen, weil sie ein Teil dessen sind, was von diesen Zivilisationen übrig geblieben ist.”
„Wonach suchen Sie bei Ihren Studien?”
„Nach Antworten.”
Daraufhin nickte sie. Sie war auch ein Mensch, der nach Antworten suchte. „Auf welche Fragen?”
„Alle.”
Sie stand auf, um ihm noch eine Tasse Kaffee einzugießen. „Sie sind ehrgeizig.”
„Nein. Neugierig.”
Als sie diesmal die Lippen verzog, war es nicht ihr übliches höfliches Lächeln. Es war großzügig und warm und glitt wunderschön über ihr Gesicht, ließ ihre Augen aufleuchten. „Neugierde ist viel besser als Ehrgeiz.”
„Finden Sie?”
„Auf jeden Fall. Ehrgeiz ist – normalerweise – einengend. Neugierde ist weit und frei und für alle Möglichkeiten offen. Was erzählen Ihnen Ihre Knochen?” Sie lachte erneut, dann deutete sie auf den überladenen Beistelltisch, bevor sie sich wieder setzte. „Ich meine natürlich diese Knochen dort.”
Was soll’s, dachte er. Er musste es sowieso aufschreiben. Von daher konnte es nicht schaden, darüber zu sprechen … mit Einschränkungen natürlich.
„Dass sie fünfundvierzig Jahre alt war, als sie starb”, begann er. „Sie?”
„Richtig. Mehrere Jahre vor ihrem Tod hatte sie sich ein Bein und einen Arm gebrochen. Was ein Indiz dafür ist, dass ihre Kultur weniger nomadenhaft war, als man noch bis vor kurzem annahm, da Kranke und Verletzte offensichtlich gepflegt wurden.”
„Aber natürlich wurden sie gepflegt.”
„Gar nichts ,natürlich’. In bestimmten Kulturen hätten Verletzungen dieser Art, die Immobilität bedeuteten und die Verletzte daran hinderten, ihren Teil zum gesellschaftlichen Leben beizutragen, dazu geführt, dass man sie verlassen hätte.”
„Tja. Grausamkeit ist keine Erfindung der Neuzeit”, meinte sie.
„Nein, ebenso wenig wie die These, dass nur die Stärksten überleben. Aber in diesem Fall hat sich der Stamm um die Kranken und Verletzten gekümmert und seine Toten mit einer feierlichen Zeremonie begraben. Wahrscheinlich binnen eines Tages. Sie haben ihre Toten in Tücher gewickelt, die aus Pflanzenfasern gewebt waren. Hochkomplizierte Webtechnik”, fügte er hinzu, wobei er eher laut dachte, als dass er mit Camilla sprach. „Dafür brauchten sie Webstühle, und so ein Tuch zu weben war sehr aufwändig. Deshalb konnten sie nicht ständig umhergezogen sein. Schätze, dass sie halb sesshaft waren. Kannten eine Menge Gesellschaftsspiele … außerdem gab es Samen, Nüsse, Wurzeln, Holz zum Feuermachen und Hüttenbauen, Meeresfische.”
„Und all diese Informationen entnehmen Sie den Knochen?”
„Was?”
Sie sah, dass er in Gedanken ganz woanders gewesen war, jetzt wieder zu ihr zurückkehrte und seinen Blick auf sie richtete. „Das haben Sie alles aus ein paar Knochen herausgelesen?” wiederholte sie ihre Frage.
„Es waren mehr als nur ein paar, außerdem haben wir auch noch andere Dinge gefunden.”
„Je mehr man erfährt, desto besser versteht man, wie die Menschen damals gelebt haben, warum sie bestimmte Dinge getan haben. Was ihre Zeit überdauert hat und was für immer verloren ist”, sagte sie. „Sie versuchen herauszufinden, wie sie ihre Häuser gebaut, wie sie gekocht haben. Wie sie ihre Kinder großgezogen und ihre Toten bestattet haben. Welche Götter sie angebetet und welche Schlachten sie geschlagen haben. Und am Ende, wie sich daraus unsere Zivilisation entwickelt hat.”
Es war zugegebenermaßen eine ganz anständige Zusammenfassung für einen Laien. In diesem hübschen Personellen steckte tatsächlich ein Gehirn. „So etwa könnte man es sagen.”
„Vielleicht haben die Frauen auch über einem offenen Feuer Suppe gekocht.”
Das humorvolle Funkeln in ihren Augen schlug ihn so in Bann, dass er ihr Lächeln fast erwidert hätte. „Die Frauen waren von Anbeginn an für die Hausarbeiten zuständig. Dafür muss es einen triftigen Grund geben.”
„Oh, den kenne ich. Männer sind eher geneigt,
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