Corkle 1
umzubauen, samt neuen Installationen und sogar einer elektrischen Heizung. Das Haus wurde zu seinem einzigen Hobby. Manchmal erwog Herr Schmidt, wie ich gehört habe, nach Westberlin überzusiedeln, aber er hätte mit seinem Haus ungeheure Verluste erlitten, und solange er unbehindert in die Westsektoren fahren konnte, sah er eigentlich keinen Grund für einen Umzug.
Die Familie Schmidt fand Freunde in ihrer neuen Umgebung. Dazu gehörte die Familie eines Leo Boehmler, der an der Ostfront bis zu seiner Gefangennahme durch die Russen Feldwebel gewesen war. 1947 war er als Leutnant der Volkspolizei in Ostberlin wieder aufgetaucht. Zu der Zeit, als die Familie Boehmler und die Familie Schmidt sich anfreundeten, war er schon nicht mehr Leutnant Boehmler, sondern Hauptmann Boehmler. Aber auch der Sold eines Hauptmanns war nicht mit dem Einkommen eines Ingenieurs zu vergleichen, der bei einer florierenden Firma in Westberlin arbeitete. Deshalb halte ich den Verdacht für durchaus berechtigt, daß Hauptmann Boehmler den Ingenieur Schmidt ein wenig beneidete wegen seines schönen Hauses, des kleinen Wagens und des allgemeinen Wohlstands, der den Haushalt umgab, in dem der Hauptmann, seine Frau und ihre hübsche Tochter bei richtigem Bohnenkaffee und Kuchen oft zu Gast waren.
Schmidt war stolz auf seine Arbeit an dem Haus und bestand darauf, es dem Hauptmann in allen Einzelheiten zu zeigen; Boehmler war zwar ein überzeugter Kommunist, das änderte aber nichts daran, daß ihm beim Anblick der vielen modernen Einbauten und Erneuerungen, die Schmidt an seinem Haus vorgenommen hatte, der Mund wäßrig wurde. Die Boehmlers lebten in einer kleinen Wohnung in einer der hastig errichteten Mietskasernen. Das war zwar viel besser als das, was den meisten Bewohnern von Ostberlin damals zur Verfügung stand, aber verglichen mit dem schönen Haus der Schmidts war es eben doch ein Slum.
Um das Jahr 1960 war Franz Schmidts Sohn Horst ein junger Mann von sechzehn oder siebzehn, der anfing, sich für junge Mädchen zu interessieren oder, um genauer zu sein, für ein bestimmtes Mädchen, nämlich die Tochter von Hauptmann Boehmler. Sie hieß Liese und war sechs Monate jünger als Horst. Beide Elternpaare sahen diese Romanze als das an, was Ihr Amerikaner puppy love nennt, aber 1961 verbrachten Liese und Horst schon den größten Teil ihrer Zeit zusammen. Hauptmann Boehmler hatte keine Einwände dagegen, daß seine Tochter mit dem Sohn eines erfolgreichen Ingenieurs eine gute Partie machte, auch wenn dieser Ingenieur sich beharrlich uninteressiert an Politik zeigte. Und wenn Franz Schmidt auch keine politische Meinung hatte, war er doch andererseits ein Realist, der nicht einsah, warum es nicht nützlich sein sollte, eine Schwiegertochter zu bekommen, deren Vater ein ehrgeiziger Offizier der Volkspolizei war. Es wurden also über die Romanze im Familienkreis kleine Witze gemacht, und Liese errötete schamhaft, und Horst stotterte verlegen, und sie taten all das, was Heranwachsende eben tun, wenn sie die Zielscheibe der Anzüglichkeiten von Erwachsenen werden.
An einem schönen Tag im August 1961 kam dann die Mauer, und Herr Schmidt fand sich stellungslos. Er besprach die Angelegenheit mit seinem guten Freund, dem Hauptmann Boehmler, der meinte, daß er ihm leicht eine geeignete Stellung im Ostsektor beschaffen könne. Ingenieur Schmidt fand mühelos eine Arbeit, stellte aber fest, daß er nur ein Viertel dessen verdiente, was er im Westen bekommen hatte. Und die Dinge, die er liebte, wie echter Bohnenkaffee, Schokolade, amerikanische Zigaretten, waren für ihn unerreichbar.
An diesem Punkt sollte man nun darauf hinweisen, daß das Haus von Herrn Schmidt günstig gelegen war. Es stand an einer Ecke gegenüber der Spitze eines kleinen dreieckigen Parks im Westberliner Bezirk Kreuzberg. Als die Mauer errichtet wurde, berührte sie beinahe die Spitze dieses Parks. Der Park selbst lag keine fünfzig Meter von Schmidts Türschwelle entfernt und war eine freundliche grüne Oase mitten im öden Häusermeer der Stadt.«
Maas unterbrach seine Geschichte, um Wein zu trinken. Er schien seine Rolle als Erzähler zu genießen.
»Nachdem Herr Schmidt einige Monate in seiner schlechtbezahlten Stellung gearbeitet hatte, fing er an, sich an ein Schlafzimmerfenster im zweiten Stock seines Hauses zu stellen und über die Mauer hinweg auf das kleine grüne Dreieck dahinter zu starren. Dann ging er dazu über, viel Zeit in seinem Keller zu verbringen, wo man
Weitere Kostenlose Bücher