Corum 05 - Der gefangene König
einen völlig zerschlissenen Mantel; einen Mantel, wie ihn der ärmste Bauer zu stolz gewesen wäre zu tragen. Ein Mantel, der fleckig, zerrissen und ausgebleicht war, so daß es unmöglich schien, seine ursprüngliche Farbe zu erkennen.
König Fiachadh hielt den Mantel so vorsichtig, ja fast ehrfürchtig, als scheue er sich, ihn überhaupt zu berühren. Er reichte ihn Corum.
»Dies ist Euere Verkleidung«, sagte König Fiachadh.
III
Corum nimmt ein Geschenk an
»Hat das einmal ein Held getragen?« fragte Corum. Dies schien ihm die einzige Erklärung für die Ehrfurcht, mit der König Fiachadh den zerschlissenen Mantel behandelte.
»Aye, unsere Legenden sagen, daß ein Held ihn trug während des Kampfes gegen die Fhoi Myore.« König Fiachadh schien durch Corums Frage verwirrt worden zu sein. »Oft wird er einfach nur ›Der Mantel‹ genannt, aber manchmal spricht man von ihm auch als Arianrods Kleid eigentlich ist er nämlich der Mantel einer Heldin, denn Arianrod war eine weibliche Sidhi, viel besungen und viel geliebt von den Mabden.«
»Und ihr Ruhm haftet an diesem Mantel«, sagte Corum. »Und so denkt Ihr.«
Medheb lachte laut auf, denn sie begriff, was Corum dachte.
»Ihr braucht Euch nicht zu unseren primitiven Bräuchen herabzulassen, Sir Silberhand, oder was habt Ihr befürchtet?« sagte sie. »Glaubst du wirklich, Corum, daß König Fiachadh ein abergläubischer Narr ist?«
»Nichts liegt mir ferner, aber.«
»Wenn du unsere Legenden kennen würdest, wüßtest du, welche Macht dieser Mantel besitzt. Arianrod trug ihn für viele große Taten, bevor sie selbst in der letzten Schlacht von einem Fhoi Myore erschlagen wurde. Manche erzählen, sie habe ganz alleine eine Armee des Kalten Volkes vernichtet, während sie diesen Mantel trug.«
»Macht er den Träger unverwundbar?«
»Nicht ganz«, erklärte König Fiachadh, der den Mantel Corum noch immer entgegenhielt. »Nehmt Ihr ihn an, Prinz Corum?«
»Ich schätze mich glücklich, ein Geschenk aus Euerer Hand empfangen zu dürfen«, antwortete Corum. Er hatte sich auf seine guten Manieren besonnen und griff mit einer leichten Verbeugung nach dem Kleidungsstück. Er nahm ihn mit seiner fleischlichen Hand und der silbernen Hand entgegen.
Und beide Hände verschwanden bis zum Handgelenk, so daß es aussah, als wäre Corum zum zweiten Mal verstümmelt worden, doch diesmal noch schlimmer. Trotzdem fühlte er seine fleischliche Hand noch und spürte den Stoff des Mantels zwischen seinen Fingern.
»Er wirkt«, rief König Fiachadh begeistert aus. »Ich bin froh, daß Ihr ihn so zögernd entgegen genommen habt, Sir Sidhi!«
Corum begann zu verstehen. Er zog seine Hand aus Fleisch und Blut unter dem Mantel zurück, und seine Hand war wieder unversehrt zu sehen.
»Ein Mantel, der unsichtbar macht?«
»Aye«, erwiderte Medheb bewegt. »Denselben Mantel trug Gy-fech, als er in das Schlafgemach von Ben ging, während Ben's Vater auf der Schwelle schlief. Dieser Mantel ist oft besungen worden, selbst unter den Sidhi.«
»Ich glaube, ich verstehe, wie dieser Mantel wirkt«, setzte Corum zu einer Erklärung an. »Er stammt von einer anderen Ebene. Genau wie Hy-Breasail Teil einer anderen Welt ist, so ist es auch dieser Mantel. Wer ihn trägt, wechselt damit in eine andere Ebene, wie einst auch die Vadhagh Kraft ihres Willens sich frei von Ebene zu Ebene bewegen konnten und sahen, was auf den verschiedenen Ebenen vorging.«
Sie verstanden nichts von dem, was der Vadhagh ihnen erklärte, aber sie waren zu begeistert, um weiter danach zu fragen.
Corum lachte. »Als Mitbringsel aus der Sidhi-Ebene, existiert der Mantel hier gar nicht wirklich. Aber warum sollte er nicht auch einen Mabden unsichtbar machen?«
»Selbst für einen Sidhi wirkt er nicht immer«, entgegnete König Fiachadh. »Manche und nicht nur Mabden haben eine Art sechsten Sinn, der es ihnen erlaubt, Euch zu spüren und zu entdecken, auch wenn Ihr für alle anderen unsichtbar seid. Es sind allerdings nur sehr wenige, die diesen sechsten Sinn besitzen, so daß Euch der Mantel die meiste Zeit vor jeder Entdeckung schützt. Trotzdem, jemand, dessen sechster Sinn voll entwickelt ist, wird Euch so deutlich vor sich sehen können, wie ich es im Augenblick kann.«
»Und in dieser Verkleidung soll ich zum Turm des Hochkönigs gehen?« sagte Corum. Er behandelte den Mantel jetzt mit der gleichen Sorgfalt und Ehrfurcht wie König Fiachadh. Fasziniert beobachtete er das Verschwinden eines Teils seines
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