Corum 05 - Der gefangene König
dieser freien Ebene entdeckt zu werden oder sollen wir sie umgehen, um dieses Risiko nicht eingehen zu müssen?«
»Wir reiten über die Ebene von Craig Don«, antwortete Corum fest. »Und wenn wir angehalten werden und noch Zeit bekommen, etwas zu sagen, geben wir vor, unterwegs zu sein, um den Fhoi Myore unseren Dienst anzubieten, nachdem die Sache der Mabden aussichtslos geworden sei.«
»Es scheint hier nicht viele mit Verstand zu geben«, meinte Jhary, »jedenfalls nicht mit dem, was ich unter Verstand verstehe. Glaubt Ihr, man würde uns überhaupt Gelegenheit zur Konversation lassen?«
»Wir müssen hoffen, daß sie mehr sind wie Gaynor als wie ihre Herren.«
»Da haben wir ja etwas Schönes zu hoffen«, rief Jhary aus. Er lächelte seiner Katze zu, die ihn nur anschnurrte und dabei offensichtlich den Scherz ihres Herren nicht recht zu würdigen wußte.
Der Wind heulte auf, und Jhary verbeugte sich vor ihm, als wolle er ihn mit einer höflichen Aufwartung besänftigen.
Corum zog sich seinen Pelz enger um die Schultern. Auch wenn der Mantel an einigen Stellen von den Hunden des Kerenos zerrissen worden war, erfüllte er seinen Zweck noch.
»Kommt«, rief Corum. »Laßt uns die Ebene von Craig Don überqueren!«
Der Schnee wirbelte um die Hufe ihrer Pferde wie das Wasser eines wilden Stromes. Der Wind blies ihn einmal hierhin und einmal dorthin. Der Wind häufte Schneeverwehungen auf, trug sie wieder ab und ließ sie an einer anderen Stelle neu erstehen. Der Wind fuhr den beiden Reitern in die Knochen, daß sie manchmal glaubten kalten Stahl in ihren Körpern zu spüren. Der Wind seufzte, wie ein zufriedener Jäger über seiner Beute seufzt. Der Wind knurrte wie ein ausgehungertes Tier. Der Wind stöhnte wie ein befriedigter Liebhaber. Der Wind schrie wie ein Eroberer, und er zischte wie eine Schlange. Er blies frischen Schnee vom Himmel. Ihre Schultern bedeckten sich mit Schnee, bis der Wind umschlug und ihnen den Schnee wieder herunter fegte. Der Wind grub ihnen Wege durch den Schnee und verlegte sie ihnen im nächsten Augenblick wieder mit neuem Schnee. Der Wind wehte von Osten und von Norden und von Westen und von Süden.
Manchmal schien es, als wehe er von allen Seiten gleichzeitig, als wolle er die beiden einsamen Reiter auf der Ebene von Craig Don zermalmen. Der Wind baute Schlösser und riß sie nieder. Der Wind flüsterte Versprechungen, und er heulte Drohungen. Der Wind spielte mit ihnen.
Dann sah Corum durch die wirbelnden Schneeflocken dunkle Gestalten vor sich. Im ersten Augenblick glaubte er fremde Krieger zu erkennen. Er zog sein Schwert und stieg vom Pferd, um sich ihnen zu Fuß entgegenzustellen, denn in dem tiefen Schnee hätte ihn das Pferd nur behindert. Bis zu den Knien sank er ein. Doch Jhary blieb auf seinem Pferd sitzen.
»Kein Grund, sich zu fürchten«, sagte er zu Corum. »Das sind keine Männer. Es sind die stehenden Steine von Craig Don.«
Und Corum erkannte, daß er sich in der Entfernung verschätzt hatte, denn die schemenhaften Objekte waren noch ein gutes Stück entfernt.
»Hier ist die heilige Stätte der Mabden«, erklärte Jhary.
»Hier wählen sie ihren Hochkönig und halten ihre wichtigsten Zeremonien ab«, fügte Corum hinzu.
»Hier haben sie das einmal getan«, korrigierte ihn Jhary.
Der Wind schien sich zu legen, als sie in die Nähe der großen Steine kamen. Selbst der Wind hatte offenbar Achtung vor dieser alten, heiligen Stätte. Es gab insgesamt sieben Kreise. Jeder Kreis umschloß einen kleineren bis zum innersten Kreis, dessen Mittelpunkt ein großer steinerner Altar war. Als Corum von dem kleinen Hügel im Zentrum der Kreise zurück über die Steine blickte, glaubte er, in den Steinkreisen Ringe auf einem See zu sehen, Ebenen der Realität, den Ausdruck einer Geometrie, die nicht ganz mit der irdischen Geometrie übereinstimmte.
»Es ist eine heilige Stätte«, murmelte er. »Wahrhaftig.«
»Ich fühle sicher, daß hier etwas angerührt wird, das nicht von dieser Welt ist, und das ich nicht erklären kann«, stimmte ihm Jhary zu. »Erinnert das hier nicht irgendwie an Tanelorn?«
»Tanelorn? Vielleicht. Ist das hier ihr Tanelorn?«
»Geographisch gesehen, könnte es das sein. Tanelorn ist nicht immer eine Stadt. Manchmal ist es ein Gegenstand. Manchmal ist es auch nur eine Idee. Und das hier das ist die Darstellung einer Idee.«
»So primitiv in seinem Material und in der Arbeit mit diesem Material«, meinte Corum. »Und doch so subtil in
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