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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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vorstelle, jeder Unbekannte, für den ich am Gärtnerplatz mal …«
          »Pscht.« Ein hastiger, scharfer Blick trifft mich.
          »… finde ich es schon beängstigend«, fuhr ich leiser fort.
          Darius kam zurück, den Haken noch in der Hand, sein Blick immer noch etwas angespannt, blieb er vor mir stehen. »Manchmal bist du allerdings zu wenig ängstlich«, sagte er fast flüsternd. »Wände sind nie so dick, dass man dich in den anderen Wohnungen nicht verstehen kann, wenn du so brüllst.«
          Erst jetzt kam der Schreck in mir an. Darius konnte also auch wütend oder gereizt sein. Gerade noch war er mir übermenschlich erschienen. Ich setzte mich auf, sah an ihm vorbei und murmelte »Entschuldigung«.
          Darius ging in die Kochecke zurück, ich folgte ihm. »Schon gut«, sagte er. »Ich habe eine eigene Wohnung, in die niemand zu schauen hat und in der ich mich frei bewegen kann. Verglichen mit vielen anderen, so wie Fritz, habe ich es richtig gut. Aber manchmal habe auch ich Angst, sie erwischen mich. Dann mache ich mir bei jedem Besuch Gedanken darüber, was die Nachbarn denken könnten.«
          »Wenn dein Körper davon gestern erzählt hat, habe ich es nicht gehört.«
          Er bückte sich und legte den Schürhaken unter dem Herd in eine Kiste. »Gestern hatte ich keine Angst.«
          Während er sich wieder setzte, überlegte ich, ob ich bleiben oder gehen sollte. Am Tag zuvor war das keine Frage, jetzt fühlte ich mich verunsichert, auch durch mich selbst, da ich zu laut gewesen war.
          »Es ist schön, wenn du so mutig bist«, riss mich Darius aus meinen Gedanken. »Aber auch dein Ärger über Fritz wurde aus Angst geboren. Aus deiner Angst vor Ungerechtigkeit, aus deiner Angst, deinen Praktikumsplatz zu verlieren und dadurch letztlich ohne Ausbildung dazustehen. Vielleicht siehst du uns unsere Angst ja nach, wenn du darüber nachdenkst?«
          Hieß das nun Bleiben oder Gehen?
          »Ich finde ihn einfach nicht attraktiv.«
          Endlich lächelte Darius wieder. »Wer achtet schon auf Attraktivität beim schnellen Sex. Nein, du hast Angst – Angst, er würde dich sofort verraten und alle Schuld auf dich schieben, um seine Haut zu retten, sollte man euch erwischen. Die Angst ist nicht unberechtigt, genauso wenig wie die Wut, die du darauf hast. Und vielleicht ist Fritz zu feige. Aber ist es mutiger, nicht zur Toilette zu gehen, weil er dort warten könnte?«
          »Hat dir das auch mein Körper erzählt?«
          »Er erzählt alles«, sagte Darius immer noch lächelnd. »Wenn du möchtest, bringe ich es dir bei.«
          »Ist es nicht unheimlich? Ich gebe zu, es fasziniert mich, aber ich stelle es mir grässlich vor, wenn mir ein Körper beim Sex die Lebensgeschichte erzählt. Ich möchte gar nicht alles wissen.«
          Gehen. Ich entschied mich, zu gehen. Ich könnte keine Gemeinsamkeit spüren, keine Einigkeit. Ich würde verkrampfen und versuchen, meinen Körper zum Schweigen zu bringen.
          »Es ist schön, sich ganz auf Menschen einzulassen«, antwortete Darius. »Es ist der wahre Sex. Es ist das, was ich gestern mit dir gespürt habe.«
          Ich sah ihn an, suchte nach der Liebe in meinem Blick, nach dem Gefühl, das ich hatte, als ich am Morgen zum Theater gegangen war, als ich mit den Einkäufen für uns vor ihm gestanden und ihn betrachtet hatte. Doch die Liebe war verschreckt, hatte sich in einen Winkel meines Körpers verkrochen, in dem ich sie nicht finden konnte. Könnte er sie hören, wenn er mich jetzt berührte?
          Darius stand auf, holte mir den Dufflecoat von der Garderobe, zog den Schal aus dem Ärmel und legte ihn mir um den Hals, hielt mir den Mantel hin wie ein perfekter Gentleman. »Es ist gut, wenn du nicht über Nacht bleibst. Dann werden die Nachbarn nicht misstrauisch.«
          Woher wusste er, dass ich gehen wollte? Ich hatte doch nur überlegt.
          »Bist du mir böse?«
          »Nein.«
          Ich wehrte den Kuss nicht ab, den er mir gab, bevor er die Wohnungstür öffnete. »Du bist es immer noch«, sagte er. Ich war mir nicht sicher, ob er es auch war, aber vielleicht wusste mein Körper ja schon mehr als ich.
          
          Draußen zog ich alle Knöpfe des Dufflecoats durch die Schlaufen und den Schal fest um meinen Hals. Der Wind sollte nirgends hinkommen. Die Hände vergrub ich tief in den Taschen. Ich hatte es nicht weit

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