Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
Von niemandem.
Fritz war die Sehnsucht anzumerken, die er bisher nur ängstlich mit sich getragen hatte.. Er kannte die stillen Gesten nicht, mit denen man sich einigte. Er lungerte abwartend darauf, dass ich auf ihn einginge. Seine Atmung war unruhig und gehetzt, fast hechelnd. Er hatte die Hände in seinen Hosentaschen, stand an die Wand gelehnt, als wollte er sich den Anstrich von Lockerheit geben. Aber er war nicht locker.
Ich spürte seinen Blick, als ich die letzten Tropfen abschüttelte, als ich meinen Penis verstaute, die Knöpfe meines Hosenschlitzes wieder schloss und zum Waschbecken ging, um mir die Hände zu waschen. Ich spürte, dass er den Kopf drehte und ich sah im Spiegel sein Gesicht, die unruhig zuckenden Lippen, die fleischigen Wangen, die ausgedrückten und vernarbten Pickel. Sein Haar war fettig oder etwas feucht vom Schweiß der anstrengenden Arbeit.
Er kam auf mich zu, während ich mir die Hände abtrocknete, beugte sich über das Waschbecken, ohne Wasser laufen zu lassen.
»Machst du es auch mal mit mir?«
Ich schüttelte den Kopf, erst dann überlegte ich, so zu tun, als verstünde ich ihn nicht und zuckte kurz mit den Schultern.
»Die fremden Männer draußen auf dem Platz. Machst du auch mal mit mir, was du mit denen machst?« Er wurde lauter, eindringlicher, so wie Menschen, die sich nicht verstanden fühlen.
»Psscht«, sagte ich.
Fritz zuckte zusammen. »Du gefällst mir«, flüsterte er. »Und seit du das neulich gesagt hast, träume ich davon. Ich möchte mal erleben, wie es ist.« Er unternahm keinen Versuch, mir näherzukommen, in mein Ohr zu flüstern. Er wahrte den Abstand, hatte eine Hand immer am Wasserhahn, bereit, den sofort aufzudrehen, sollte jemand kommen.
»Warum gehst du nicht selbst über den Platz?«, flüsterte ich zurück. Meine Hände waren längst trocken, aber ich hielt das Handtuch fest.
»Ich trau mich nicht.«
»Hier ist es noch gefährlicher. Wir werden beide unsere Arbeit verlieren, wenn jemand davon erfährt.«
Fritz nickte. »Da habe ich schon mal die Chance und es klappt trotzdem nicht.«
Er tat mir leid, so leid, dass ich im Kopf sogar nach einer Möglichkeit suchte. Das Theater schied aus, mein Zimmer schied aus. Sein Zimmer … Wie alt war er überhaupt? Er war Lehrling, also sicher unter zwanzig. Bestimmt lebte er noch bei seinen Eltern. Das schied also auch aus. Wir könnten uns höchstens draußen in einem Gebüsch verkriechen.
»Meine Pause ist vorbei.« Ich ließ das Handtuch los und ging grußlos an Fritz vorbei.
Nach dem Essen verging die Zeit ein bisschen schneller. Erst der Feierabend ließ die Gedanken wieder anschwellen. Was sollte ich tun? Erstmal nach Hause, Frau Bergmoser für ihr Gulasch loben und mindestens einmal Nachschlag nehmen. Mich ausruhen, Radio hören oder noch einmal fortgehen, sie in dem Glauben lassen, ich hätte eine Freundin, während ich in den Räumen des ›Vereins Humanitäre Lebensgestaltung‹ tanzte oder mir in einer dunklen Ecke einen Teil dessen holte, was ich mir von Darius wünschte? Sollte ich Fritz noch eine Nachricht zustecken, laut der wir uns außerhalb der Sichtweite des Theaters in irgendeinem Winkel treffen könnten? Oder Darius besuchen?
Nein. Ich verzehrte mich nach ihm, aber ich wollte ihn nicht sehen. Den nächsten Schritt musste er machen – so dachte ich.
Ich ging weder über den Platz noch abends aus, sondern vergrub mich bei den Bergmosers, spielte mit ihnen Poch und gewann. Glück im Spiel …
Kein Traum überschattete die nächste Nacht, kein Fritz den nächsten Tag. Nach dem gedrucksten Gespräch auf der Toilette schien er mir auszuweichen. Obwohl mein Chef wieder da war, half ich weiter beim Bühnenbau. Dort waren Arbeiter krank geworden und ich wurde gebeten, auszuhelfen. Praktische Arbeit schade nicht, sagte mein Chef und sagte in meinem Namen zu. In der Tat bekam ich einen besseren Eindruck davon, wie variabel die Gestaltungen ausfallen mussten, damit die verschiedenen Bilder schnell auszutauschen waren, ohne den Spielbetrieb aufzuhalten und die Umbaupausen in die Länge zu ziehen. Meine Arbeitszeit wurde in die Abendstunden verlegt, sodass ich während der Aufführungen tätig war. Minutiös geplante Handgriffe ließen keinen Raum für trübe Gedanken, merkwürdige Hoffnungen oder verwirrte
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