Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
Gefühle. Die Arbeit ließ keine Zeit für Tanzabende oder flüchtige Bekanntschaften. Darius wurde gedanklich zu dem, was alle waren, die ich auf dem Gärtnerplatz kennenlernte. Ein Vergnügen. Die Kürze der Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, ermöglichte es mir, schnell Abstand zu gewinnen, ohne mich in Gefühle zu steigern. Die Nacht der Albträume war ein kurzes Fieber gewesen, das schnell wieder abkühlte. Nur manchmal trat eine kurze Melancholie auf wie ein Niesen durch Staub in der Nase oder wie ein Husten, um den Schleim nach einer Zigarette loszuwerden.
›Ich brauche die frische Luft‹, redete ich mir ein, deshalb gewöhnte ich mir an, nach den Aufführungen nicht den direkten Weg nach Hause zu gehen, sondern den riesigen Umweg über die Wittelsbacher Brücke. Manchmal bog ich danach gleich ab und ging durch den Stadtkulturgarten an der Isar entlang zur Ohlmüllerstraße, meistens jedoch führte mich mein Weg durch die Humboldt- und die Entenbachstraße. Jedes Mal erfasste mich Unruhe, jedes Mal schaute ich von der gegenüberliegenden Straßenseite auf die Fenster von Darius’ Wohnung und sah, ob Licht dahinter brannte, ob die Gardinen zugezogen waren. Mein Herz klopfte immer etwas schneller, wenn die Wohnung nicht erleuchtet war. Bei Licht oder zugezogenen Vorhängen fragte ich mich nie, wer da jetzt an meiner Stelle war, aber bei Dunkelheit bestand die Möglichkeit, ihn zu treffen. Wenn er zu Hause zu sein schien, setzte ich meinen Weg über die Entenbachstraße fort, wenn nicht, kehrte ich um, weil es mir wahrscheinlicher schien, dass er vom Gärtnerplatz kommen müsste, als irgendwo anders her. Ich habe natürlich nicht gehofft, ihn zu treffen.
5.
Jahrzehnte lang habe ich davon gelebt, Darius unsterblich zu machen. Wie viele Bilder mit seinem Konterfei, seinem Körper wurden in meiner Galerie verkauft? Wie viele Bilder, auf denen er immer zwanzig Jahre alt blieb. Und in gewisser Weise hat seine Jugend mir gedient, mich unsterblich zu machen. Hat er die Bilder nie gesehen, hat er nie in der Zeitung von mir gelesen?
Er hätte sich für Malerei interessieren müssen. Der Kunst kann man sich entziehen. Nur wenige Maler sind Medienstars geworden. Einige, wie Beuys, weil sie mit den Medien spielten, andere, wie Janson, weil sie sich ihnen beharrlich entzogen. Ich fand höchstens mal im Feuilleton Erwähnung, aber in den schwulen Kneipen und Bars galten meine Bilder und meine Galerie lange als Geheimtipp, der flüsternd weitergegeben wurde.
»Was meinst du?«, frage ich. Eine dumme Frage, denn er kann nur die Zeitlosigkeit meinen, die Epochen, die spurlos an ihm vorüberzugehen scheinen. Aber ich möchte, dass er es sagt.
Darius leert sein Glas. Meinen Grog habe ich längst ausgetrunken.
»Hättest du es ausgehalten, mit mir zu leben? Die Angst vor Denunziation sicherlich, du warst mutig. Aber wie wäre es für dich gewesen, rastlos mit jemandem zusammen zu sein, der nicht existiert?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich und bin froh, dass er meine Hand nicht mehr berührt. Er hätte den Gedanken erfühlt. ›Ich hatte nicht die Chance, es auszuprobieren.‹
Besser das Thema wechseln, ins Heute gehen. Dort gibt es keinen Schmerz und keine Bitternis. Dort kann ich fragen, was er tut, wohin er gerade unterwegs war, als ich ihn angesprochen habe.
»Arbeitest du hier?«
»Ja. Als Koch in einem der vielen Restaurants hier.«
»Du wirktest zielstrebig. Habe ich dich nicht aufgehalten?«
Darius winkt den Kellner heran und bittet um die Rechnung. »Ich hatte gerade Feierabend und wollte noch etwas essen. Ich esse gern hier auf den Landungsbrücken. Nur nicht dort, wo ich arbeite.«
»Das spricht nicht für das Restaurant.« Das Gespräch stockt. In der Aktualität haben wir nichts auszutauschen außer Floskeln. »Warum hast du dir nichts bestellt?«
Er zuckt mit den Schultern, schweigt, zündet sich noch eine Zigarette an und bezahlt sein Alsterwasser und meinen Grog. Erst, als der Kellner wieder fort ist, antwortet er. »Dann hätte ich mich so gebunden gefühlt.«
Ich nicke und bedanke mich. Entweder es passiert jetzt irgendwas, oder ich muss auf die Uhr schauen und gehen. Froh, ihn wieder getroffen zu haben, frustriert darüber, wie das Treffen gelaufen ist. Nach fünfzig Jahren kann man nicht einfach anknüpfen. Und
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