Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
wie der Krieg. Mutter sieht nur Theodore, Papa nur Pflicht. – Wieder Heinrich, dieses Mal im Kommunionsanzug. Lehnt sich an mein Ohr, »wenn du artig bist, zeig ich dir ein Geheimnis«, wir laufen durch das Dorf, fort von Soldaten und Zigaretten, hinunter zum Bach. Die Beine der guten Hosen schleifen über matschigen Boden. Das wird Prügel geben. Heinrich wie damals im Wald, zieht die Hose runter, doch er bückt sich nicht, sondern zeigt mir das erste Schamhaar, einen winzigen Punkt, dunkler als das Haar auf seinem Kopf. Mein neidischer Blick, mein Begehren, ›darf ich mal anfassen? – Ja‹, mein Griff nicht an das Haar, sondern an den Penis, der schwillt und in meiner Hand bleibt, als Heinrich davon läuft.
Darius, erwachsen, zwanzig Jahre alt, ein paar Jahre jünger als ich. »Du bist es«, sagt er, sieht mir in die Augen, streicht mit der Hand über meine Brust. »Du bist es, der mich damals kastriert hat, der unbedingt meinen Penis anfassen wollte. Du warst schon damals abnorm, du bist es noch heute.«
»Das weiß ich doch. Ich kann es nicht ändern.«
»Ich liebe es abnorm. Ich fühle deine Abartigkeit, dein Körper erzählt mir davon.«
Wieder erwachen, wieder Licht, wieder der Weg an das Fenster – einatmen. Schritte nackter Füße lassen mich zusammenzucken, ein Blatt Papier weht von meinem Schreibtisch und segelt auf den Teppich. Ich drehe mich um. Darius steht vor mir in meinem Zimmer, nackt wie am ersten Abend in seiner Wohnung.
»Bist du verrückt? Man wird uns entdecken«, flüstere ich.
»Niemand wird uns entdecken. Die Träume sind frei.« Er kommt auf mich zu, nimmt mich in den Arm, sein steifes Glied stößt gegen meinen Bauch. »Hab keine Angst vor dem, was du mir erzählst. Ich liebe dich und dein Körper sagt mir, du liebst mich auch.« Er löst sich auf, ehe ich antworten kann, verschwindet im Mondlicht und für einen Moment glaube ich, sein Lächeln in den Hügeln und Tälern des Trabanten sehen zu können.
Träume ich ins Bett zurück oder lege ich mich hin? Schlafe ich wieder ein oder entlässt mich nur die Illusion des Wachens, bis der Wecker klingelt in die beruhigende Dunkelheit?
Ich tötete das Geräusch mit einem Schlag auf den Knopf, schaute auf den Teppich zu dem Blatt Papier, eine alte Zeichnung von einem perspektivischen Tor, die ich mal gemacht hatte.
Frau Bergmoser klopfte und brachte mir heißes Wasser in einer Schüssel. »Jetzt, da Sie eine Freundin haben, müssen Sie ja immer gut rasiert sein.«
Ich dankte ihr.
»Möchten Sie ein Ei zum Frühstück?«
Ich nickte, wartete, bis sie draußen war, wusch mich und zog mich an.
Eine Nacht die Zufriedenheit des stillen Glücks, einen Tag Aufruhr der Erwartungen, die Ungeduld, Darius wiederzusehen. Schon am nächsten Tag Enttäuschung und Angst – die Unruhe lag schwer im Kopf, lähmte. Die Arbeit floss nicht, sondern ging mühsam vonstatten, die Minuten krochen.
Fritz hatte mehr zu tun, lungerte nicht so häufig im Flur. Sein Meister jagte ihn die hohen Leitern hinauf, die Strahler für die abendliche Aufführung zu richten.
Er war mit einer anderen Oper beschäftigt als ich.
Mein Chef war bei einer Besprechung, zu der er mich nicht mitgenommen hatte. Mich hatte er in die Tischlerei geschickt, ich müsste die praktische Kunst lernen, das schnöde Handwerk, welches die Ideen umsetzte, die das Genie ersann.
Bühnentüren schleifen, Kulissen reparieren, ausbessern, was durch den Gebrauch verschlissen war. Bühnenhaken in den Boden und an die Stützstreben der Wände bohren, fest genug, damit es hält, locker genug, am Abend die Umbauten schnell zu bewerkstelligen. Schwielen an den Händen, Schmerzen, ausreichend zu tun, um nicht immer nur an einen zu denken.
Frühstückspause, in körperlicher Anwesenheit mitlachen, während die Gespräche vorbeisickerten, hören, ohne aufzunehmen, sich nichts merken – das Gleiche mittags.
Ich vergaß sogar, Fritz auszuweichen, ging arglos zur Toilette, stand gerade vor dem Urinal, als er um die Ecke kam. Er blieb stehen, sah auf meinen Strahl, druckste herum, schwieg wie immer.
Sollte er doch gucken, solange er dabei Abstand hielt und mich nicht in Bedrängnis brachte. Mein Chef war zwar nicht da, aber im Theater wollte ich auf keinen Fall entdeckt werden.
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