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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Radio das Lied. Little Walter sang »You'd better watch yourself«. Dreizehn Jahre später sollte er im Streit in einer kleinen Seitenstraße von Chicago erschlagen werden. Hätte ich besser auf mich aufgepasst, müsste ich nicht lügen, hätte noch meinen Praktikumsplatz, das Studium stünde vor mir. Hätte ich besser auf mich aufgepasst, dürfte ich nicht mit Darius wegfahren, eine Woche in eine Hütte, die im Winter nur auf Skiern zu erreichen war.
          Skier …
          Meine waren noch in Altfraunhofen. Über die Zugfahrt hatten Darius und ich gesprochen. Ob ich einen Rucksack hätte, hatte er mich gefragt. Aber nicht darüber, was wir brauchen würden. Ich schaute auf meinen Wecker. Halb elf. Ich konnte gut auf dem Weg zum Hauptbahnhof bei Darius vorbeigehen. Beim Titel »God Only Knows« von Capris zog ich mir meinen Dufflecoat an, schulterte den Rucksack und schaltete das Radio aus.
          
          Darius kam gerade mit einer Kiepe Kohlen aus dem Keller, als ich vor der Haustür stand. Ich brauchte nicht zu klingeln, er ließ mich ein. »Na, es sieht ja so aus, als hättest du noch genügend Geld für die Zugfahrt.«
          »Ja.« Ich folgte ihm.
          »Wenn ich die Kohlen jetzt hoch schleppe, muss ich es nicht machen, wenn ich zurückkomme«, begründete er unaufgefordert und unnötig. »Ich finde es immer blöd, in eine kalte Wohnung zu kommen und dann erst Kohle schleppen zu müssen.«
          »Dabei wird einem doch wenigstens warm.« Ich wusste nichts zu sagen. Erst in der Wohnung, als ich Rucksack und Mantel abgelegt hatte, fragte ich nach den Skiern.
          Darius stellte die Kohle neben den gereinigten Ofen, wusch sich die Hände und drehte sich um. »In der Hütte sind welche, falls wir welche benötigen.«
          Auf dem Bett lag sein Rucksack noch geöffnet. Kleidungsstücke lagen verteilt. Auf dem Tisch befanden sich ein paar Dosensuppen, ein Brot, zwei Marmeladengläser, eine Mettwurst, ein Stück Schinken, Butter.
          »Es ist gut, dass du gekommen bist«, sagte Darius. »So können wir das auf beide Rucksäcke verteilen.«
          Ich setzte meinen Rucksack ab, öffnete ihn und steckte, was noch Platz fand hinein. Meine zweite Frage hatte sich erledigt.
          Darius stopfte eher. Seine Kleidung war nur notdürftig zusammengelegt. Es dauerte nicht lange, bis er fertig war und alles verstaunt hatte. »Wir können los«, sagte er grinsend und tat, als hätte er ein Glas Bier in der Hand. »Auf tolle Tage mit dir.«
          

9.
          
          Senile Bettflucht nennt man es wohl, was mich um halb acht aus dem Schlaf treibt. Darius hat sich auf die Seite gedreht, atmet ruhig und gleichmäßig. Vorsichtig stehe ich auf, um ihn durch die Bewegung nicht zu wecken. Unter der kalten Dusche vertreibe ich den letzten Rest Müdigkeit, trockne mich ab und ziehe den Bademantel an. In der Küche mahle ich Kaffee, stelle den Wasserkocher an, spüle die Kanne aus. Solange Darius noch schläft, muss ich nicht frühstücken, aber Kaffee brauche ich. In meinem Arbeitszimmer fahre ich den Computer hoch, solange das Wasser noch nicht kocht. Mit dem Kaffee setze ich mich vor den PC und checke Mails und Nachrichten bei Gay Romeo, surfe ein bisschen, warte, bis sich im Schlafzimmer etwas regt. Zwischendurch überlege ich, Brötchen zu holen, doch habe ich Angst, Darius ist nicht mehr da, wenn ich zurückkomme. Er könnte einfach fort sein, wie vor fünfzig Jahren. ›Du bist albern‹, sage ich mir. ›Wenn er weg ist, ist er weg. Ihr hattet einen schönen Abend, du hast gesehen, was aus ihm geworden ist. Ihr habt euch noch einmal wieder gesehen und passt gar nicht mehr zueinander.‹ Ohne Erfolg. Ich lausche in der Stille auf Geräusche aus dem Schlafzimmer, traue mich nicht, wenigstens ein Radio anzuschalten. Es könnte ihn wecken.
          Als der Computer mich langweilt, ich alle Mails und Nachrichten beantwortet habe, gehe ich zurück in die Küche, nehme mir einen zweiten Kaffee und hole ein Glas gemischter Kräuter aus dem Tiefkühlschrank, die ich irgendwann mal für Notfälle gehackt habe. Auch ohne Brötchen soll Darius ein gutes Frühstück bekommen. Mit der Arbeit verfliegt meine Angst. Ich mache jede Menge Geräusche, als ich den Teig rühre, um herzhafte Kräuterpfannkuchen zuzubereiten.
          Die fertigen Pfannkuchen stelle ich in den Ofen. Zwischendurch lausche ich nach oben. Einerseits tut es mir leid, so laut zu sein, andererseits

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