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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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          Der Morgen zeigte sich grau, als ich erwachte. Es war trocken, aber der Himmel war von Wolken überzogen. Frau Bergmoser klopfte an die Tür und fragte, ob ich mit ihnen frühstücken wollte.
          »Ich komme gleich«, rief ich. Ihre Schritte entfernten sich. Ich zog die Kleidung des Vortags noch einmal an. Die war ja nicht auf der Bühne in Mitleidenschaft gezogen worden. In der Küche saßen Herr und Frau Bergmoser schon am Tisch und warteten, bis ich mich setzte. Frau Bergmoser hatte bereits Kaffee eingegossen, auf dem Brettchen ihres Mannes lag eine Scheibe Brot. Wir wünschten uns einen guten Morgen und guten Appetit.
          »Sie waren so schweigsam gestern Abend«, brach Frau Bergmoser die Stille, »war es ein anstrengender Tag im Theater?«
          ›Du bist verdorben‹, schrien die Heuschrecken, ›du kannst ruhig lügen.‹
          »Ja«, antwortete ich, und als verkündete ich eine gute Nachricht, fügte ich hinzu: »Dafür habe ich ab heute frei.«
          ›Gut so‹, riefen die Heuschrecken, ›aber auch eine halbe Lüge ist eine Lüge.‹
          Herr Bergmoser reichte mir die Butter, seine Frau köpfte ein Ei mit dem Messer, während sie mich ansah und sich für mich freute. »Das ist ja schön. Wissen Sie schon, was sie mit der Zeit anfangen wollen?«
          Geschickte Lügen lassen weite Felder offen, auf denen sich Wahrheit und Unwahrheit die Hand reichen wie Fuchs und Igel. Alles passt ineinander. Wenn sie sich für mich über die freien Tage freute, würde sie sich auch über meine Reise freuen.
          »Ich fahre mit einem Kollegen zu seiner Familie ins Allgäu. Wir werden dort ein bisschen Ski fahren.«
          Sie streute Salz und Pfeffer über das Ei, legte einen kleinen Klecks Butter darauf und rührte unappetitlich mit dem Eierlöffel in der Schale, bevor sie einen Bissen in den Mund steckte. »Oh, hätte ich das gewusst, hätte ich Ihnen noch ordentlich Proviant zurecht gemach.«
          »Ich bin sicher, ich werde bei meinen Gastgebern nicht verhungern.«
          ›Bist du doch gar nicht‹, warfen die Heuschrecken ein.
          Für einen kurzen Moment vergaß Frau Bergmoser zu kauen und warf einen Blick auf ihren Mann, der teilnahmslos von seinem Brot abbiss. Ein Tropfen löste sich aus dem Wasserhahn und prallte in das emaillierte Spülbecken. Meine Vermieterin schluckte und erst als der Mund leer war, antwortete sie etwas schnippisch: »Dann muss ich mir ja keine Mühe machen.«
          Ihr Mann sah zu ihr, auch er wartete, bis er keinen Krümel mehr im Mund hatte, legte seine linke Hand auf ihre rechte und sagte: »Freu dich doch, Mutti.«
          ›Jetzt hast du sie auch noch beleidigt‹, raunten die Heuschrecken. ›Du hast ihre Küche verschmäht.‹ Während ich einen Schluck Kaffee nahm, mir ein Ei mit dem Löffel aufschlug und die Schale ordentlich an den Rand meines Brettchens legte, flüsterte mir die Heuschrecken leider nicht zu, wie ich meinen Faux Pas wieder gut machen könnte. Sie höhnten nur. Ich versuchte, sie zu verscheuchen. Frau Bergmoser war eine gute Frau, es brachte ihr Spaß, für mich zu sorgen, sie freute sich aufrichtig, wenn es mir schmeckte und sie hätte nichts lieber getan, als für mich in der Küche zu stehen und mich für die die Skitour auszurüsten, auch, wenn sie sich dabei über die Arbeit beklagt hätte.
          »Liebe Frau Bergmoser. Wir haben es uns doch gestern erst kurzfristig überlegt. Sonst hätte ich gern etwas von Ihren leckeren Sachen mitgenommen. Ich wollte Sie doch nicht kränken.«
          ›Heuchler.‹
          Sie war noch nicht überzeugt, vielleicht hatte ich zu dick aufgetragen, etwas zu theatralisch meinen Charme spielen lassen.
          »Sie müssen mich nicht auch noch veralbern.«
          »Ich veralbere Sie nicht. Ich weiß es wirklich erst seit gestern Abend.«
          
          Nach dem Frühstück half ich, das Geschirr zu spülen, bevor ihr Mann und sie in Sonntagskleidung zur Messe gingen. Ich stellte in meinem Zimmer das Radio an. »Rock Around the Clock« quälte mich zur falschen Zeit. Ich mochte das Lied, doch es quälte einen immer zur falschen Zeit, lief, egal, zu welcher Stunde man gerade AFN einschaltete. Ich ließ es laufen, legte meinen benutzten Schlafanzug ordentlich zusammen - der zweite befand sich gerade in der Wäsche - und packte ihn in den Rucksack. Als ich die letzten Verschnürungen vornahm, wechselte im

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