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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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Orientteppich in beige, blau und rot. Weder über dem Bett noch über der Eingangstür hing ein Kruzifix. Über dem Bett hing ein Ölgemälde, ein blühendes Hopfenfeld, durch das ein Traktor fuhr. Dem Bett gegenüber stand ein Bücherregal, das zu voll war, um zu schauen, welche Titel sich darin befanden. Dem Fenster gegenüber stand ein Kleiderschrank in blau getöntem Holz mit leuchtenden Bergblumen darauf. Selbst Edelweißblüten und Enzian rankten in die Höhe, als wären es Lianen.
          »Das wird die nächsten Tage unser Reich sein«, erklärte Darius, stellte seinen Rucksack ab, den er die ganze Zeit über auf dem Rücken behalten hatte, und setzte sich auf das weiß bezogene Bett. Mit seiner Tolle und seinen Jeans, mit seinem Aussehen, das an Helden amerikanischer Filme oder an Musiker wie Bill Haley erinnerte, schien Darius wie ein Fremdkörper vor bayerischer Hüttengemütlichkeit. Ich versuchte, ihn mir in Krachledernen vorzustellen, als Dorfjungen, der schon morgens vor der Schule die Kühe melken musste, aber es gelang mir nicht. Zu sehr war er für mich der schnieke Stadtjunge, eher verwegen als urtümlich, heute würde man vielleicht cool sagen. Auch mich fand ich in diesem Haus unpassend. Lediglich die vielen Bücher passten zu mir. Ich war ein Stadtkind, zwar auf dem Land aufgewachsen, zum Teil in Verschickungsheimen, aber eher zwischen geblümten Tapeten des gelehrten Außenseiters, den es nur auf das Dorf verschlagen hatte, weil der Vater von den Nazis als Lehrer dorthin geschickt worden war. Zwar wollte ich Kunst studieren, doch war ich unauffällig wie ein Verwaltungsbeamter. In der Beziehung kam ich ganz nach meinem Vater, auch wenn ich den seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Hundertvierzig Kilometer von München entfernt wirkte das Haus auf mich wie eine andere Welt. Genau richtig für einen Urlaub, in dem ich alles vergessen sollte.
          »Schön ist es hier«, antwortete ich, kniete mich vor Darius, als wollte ich ihm einen Heiratsantrag machen und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Vielleicht sollten wir erstmal heizen?«
          Er nickte und stand wieder auf. »Ich hoffe, wir müssen nicht erst Holz hacken.« Wir gingen durch die Räume, schlossen die geöffneten Fenster wieder, und begaben uns nach unten in die Küche. Zunächst öffneten wir auch dort die Fensterläden. Sie war kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte. Der Herd war nicht größer als der in Darius’ Wohnung. Daneben waren ein Spülbecken und ein Tisch, auf dem das Geschirr zum Trocknen abgestellt wurde. Gleich bei der Eingangstür erstreckte sich auf einer Seite ein großes Regal über die ganze Wand, in dem alles Geschirr offen stand. Irgendjemand musste es einmal selbst gebaut haben. Auf der anderen Seite der Tür war ein großer Kachelofen in die Wand eingelassen, über den die Wärme durchs ganze Haus verteilt werden sollte. Davor stand ein Bastkorb, in dem noch drei Scheite lagen. Unter dem Fenster war ein Tisch, gerade so groß, dass zwei Leute daran sitzen und arbeiten konnten.
          Es gab keinen Kühlschrank. Nur im Fußboden eine Klappe, unter der ich einen Vorratskeller vermutete, der im Sommer genutzt würde.
          Darius nahm sich den Bastkorb und ging durch die Gaststube nach draußen. »Komm mit!«, forderte er mich auf. Ich folgte ihm ums Haus und sah an der Nordseite einen Holzverschlag, der sich unterhalb der Fenster über die ganze Wand verteilte. »Hacken müssen wir jetzt zum Glück nicht«, stellte Darius fest und hielt mir den Korb hin, damit ich ihn mit Scheiten füllte. »Ist es trocken?«
          »Ja.«
          »Sonst hätten wir uns gegenseitig wärmen müssen.«
          Während Darius Feuer machte, stellte ich unsere mitgebrachten Vorräte auf den Tisch unterhalb des Fensters. Beim Anblick des Brots, der Wurst und der Konserven wurde ich noch hungriger. Eigentlich konnte man in dieser Hütte gut leben. Ich fragte mich, was Darius’ Eltern den Winter über machten. Hatte sein Vater eine Arbeit, die er nur ein halbes Jahr ausführen brauchte? Oder reichten die Einnahmen aus dem Sommer auch für die Wintermonate? So lange sind wir nicht gelaufen, warum wohnten sie nicht das ganze Jahr in diesem Haus?
          »Von wann bis wann leben deine Eltern hier jedes Jahr?«
          Darius blickte nicht einmal auf. Ich nahm mir ein paar Holzscheite und feuerte den Herd. Nach der Reise würde eine Tasse Kaffee gut tun. Leider kam kein Wasser aus dem

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