Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
Härchen stellten sich auf. Der ganze Siegfried war auf Empfang gestellt wie ausgerichtete Antennen und bewegte sich höchstens, um das Signal zu verschärfen. Ließ es mich explodieren, als meine Worte mich über die Haut verließen, so implodierte ich bei der Berührung von innen. Ich nahm auf, pulsierend und rhythmisch, ich stöhnte, keuchte, schrie. Atemlos, weil die Spannung mir die Luft nahm wie ein Film von Hitchcock. Und ich kam ein zweites Mal, kurz bevor auch Darius mir gab, was er hatte, bevor auch er kreischte und sich von mir löste.
Noch zitterte ich. Wie der Puls nach einem Marathon senkte sich auch die Spannung nicht plötzlich, sondern brauchte Zeit. Darius legte sich auf mich, ich nahm ihn in die Arme, mehr, um mich festzuhalten als ihn, spürte seinen wieder erschlafften Penis auf meinem Bauch, seine Lippen auf meinem Mund, seine Freiheit, seine Liebe, sein Sein.
Ich weinte.
»Was ist los?«
»Nichts.«
11.
War es das schon wieder? Ein Abend gemeinsam vor dem Fernsehgerät, eine Nacht, die wir nebeneinanderlagen, ein Morgen, hektischer als geplant?
Nichts geklärt, nur ein Geheimnis erfahren, über das ich doch nichts weiß?
Ein Kuss zum Abschied, ein paar Blicke hinter ihm her, als Darius sich umdreht, die Plastikdose mit den Pfannkuchen in den Händen, und auf den Ponton der Landungsbrücken verschwindet?
Damals konnte ich ihn nicht gehen sehen. Es hat keinen Abschied gegeben. Heute fehlen nur die Zukunft und die Worte darüber.
Ich kann doch nicht auf dem Ponton sitzen bleiben und warten, bis er Feierabend hat, ihm dann wie zufällig begegnen und ihn fragen, ob er mitkommen möchte. Meine Kunst hat sich immer mit der Freiheit befasst. Sie war das Grundthema, steckte in jedem Bild, das ich gemalt, in jeder Skulptur, die ich erschaffen hatte. Darius ist ein Mensch der Freiheit. Ich kann ihn nicht festbinden.
Kupplung treten, Gang einlegen, im Rückspiegel auf den Verkehr achten und Kupplung langsam wieder kommen lassen. In Grübeleien versunken mühsam konzentrieren und in der radiolosen Stille beinah das Klopfen an der Scheibe überhören. Im letzten Moment aufschauen. Sein Gesicht sehen, das dunkle Haar, die braunen Augen, das zaghafte Lächeln. Das Fenster an der Beifahrerseite herunterlassen, zurücklächeln, wortlos.
»Ich wollte dich um etwas bitten.« Zaghaft und brüchig klingt seine Stimme, nicht nach Unsterblichkeit, sondern klein und verloren. Er macht eine Pause, wartet, bis ich mit dem Kopf nicke und ihn ermutige.
»Ich weiß, ich habe es nicht verdient. Aber kann ich, solange ich in Hamburg bin, bei dir wohnen?«
Verdient. Muss Darius sich verdienen, die Zeit nachzuholen, die uns verloren ging, muss er sich verdienen, auszuprobieren, ob es so schön geworden wäre, wie ich es mir immer vorgestellt hatte?
Er hängt am Fenster, muss zur Arbeit, der Blinker meines Autos zeigt immer noch an, dass ich in den Verkehr rollen möchte. Es bleibt keine Zeit für Ängste, für Überlegungen, um ihm eine Antwort zu geben. Ich könnte ihn auf den Abend vertrösten, so hätte ich noch eine Nacht. Aber meine Antwort steht doch fest.
»Natürlich.«
»Danke.« Für einen Kuss ist er zu weit weg. Er klopft nur mit der Plastikdose auf den oberen Rand der Scheibe, nickt kurz und dreht sich fort.
»Wann soll ich dich abholen?«, rufe ich ihm hinterher.
»Um sechs.«
Dann ist die Straße frei und ich kann losfahren. Kein Radio, nur die Gedanken singen in meinem Kopf. Die Zukunft wurde angesprochen – solange er in Hamburg ist. Wie lange wird das sein? Wann wird er wieder fliehen? Ich bin über siebzig und denke für die Ewigkeit? Bleibt er, bis ich ihm die einzige Erfahrung vorlebe, die er nicht machen kann? Obwohl ich rüstig bin, denke ich an den Tod, an Siechtum und an Darius, der mich liebevoll pflegt. Was für perverse Ideen kommen mir beim Autofahren, wenn sich die Zukunft ergibt, die ich mir vor fünfzig Jahren erträumt habe?
Ich muss ihm ein Zimmer einrichten – will er das überhaupt? Oder will er das Bett mit mir teilen?
Ich muss Platz in den Schränken machen für seine Kleidung, für seine Habe – gibt es die überhaupt? Wir könnten einkaufen gehen, ich könnte ihm schöne Hemden kaufen, T-Shirts, Hosen, Schuhe. Er könnte endlich etwas
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