Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
Vom Netzwerk:
Dächer, die zusätzlich von großen Blättern gegen den Regen geschützt wurden. Die Behausungen fügten sich so in den Wald ein, dass es schien, als seien sie natürlich dort gewachsen. Und wahrscheinlich waren sie das sogar. Sie gruppierten sich spiralförmig um eine Quelle, die im Mittelpunkt des Dorfes sprudelte.
    Vor den Häusern saßen Leute in kleinen Gruppen zusammen, spielende Kinder rannten lachend einem Baumgeist nach, der sich ihnen durch Sprünge in die tiefhängenden Zweige entzog, sobald sie ihm zu nahe kamen. Über einem großen Feuer drehte sich ein Wildschwein und das Aroma von Gebratenem vermischte sich mit dem satten Duft der Fichtennadeln. Die Szene wirkte harmonisch und friedlich, wären da nicht Männer und Frauen gewesen, die auf hölzernen Plattformen in den Bäumen rund um die Siedlung ihre Wachtposten bezogen hatten und konzentriert die Gegend um das Dorf beobachteten.
    Als eine Frau aus einem der Häuser in unserer Nähe trat, hörte ich Rokan schnaufen. Sie streckte ihren Rücken und rieb sich über die Stirn, warf sich einen Mantel um die gebeugte Gestalt. Zwei Baumgeister folgen ihr, auch sie wirkten erschöpft und bekümmert. Die alte Frau legte ihnen die Hände auf die Schultern und sie verschwanden mit kraftlosen Schritten in den angrenzenden Holunderbüschen.
    „Wie es scheint, steht ein Erdfest an. Mutter Eiche wird bald Nahrung für ihre Wurzeln bekommen.“ Vorak zupfte Rokan am Ärmel. „Du hast sie so weit getragen, aber sie hatte die steinerne Brücke wohl schon betreten. Ach, schade um ihr lohendes Haar. Ich konnte mich kaum daran sattsehen.“ Vorak machte einen Hüpfer.
    Mein Herz war mir bis in die Schuhspitzen gerutscht.
    „Wen meinst du?“, fragte Rokan und Vorak stieß einen Schrei aus, der die Blätter über unseren Köpfen zittern ließ.
    „Ich werde Maya bitten, deinen Kopf mit Pastete zu füllen, denn darinnen scheint viel Platz zu sein. Los, los!“ Er schubste Rokan in Richtung Dorf. „Geh und bitte die Große Mutter, dass sie deine Ohren zustopfen möge, damit nicht auch der letzte Rest deiner Hirnmasse hinaus tropft.“
    Vorak verschwand lautlos wie er gekommen war im Wald, und Rokan schüttelte den Kopf. „Ich kann mich nicht erinnern, jemanden ins Dorf gebracht zu haben.“
    „Sie ist es“, flüsterte ich. „Ich weiß, dass sie es ist.“ Und ohne nachzudenken, lief ich die Böschung hinab, auf die alte Frau und ihr Haus zu. Als sie mich gewahrte, breitete sie ihre Arme aus, dass ihr Mantel flatterte. Ein Windstoß schlug mir ins Gesicht und als wäre ich von einem Medizinball getroffen worden ging ich zu Boden.

    Als ich zu mir kam, brummte mir der Schädel. Meine Zunge klebte am Gaumen und fühlte sich pelzig an. Rokan hielt mir einen Becher an die Lippen und ich trank einen Schluck Wasser.
    „Geht es wieder?“, fragte er besorgt und schob mir ein Kissen unter den Kopf.
    Ich stöhnte. Das Licht war dämmrig in der Hütte, in der ich auf einem Lager aus weichen Fellen lag. Über mir schaukelte ein Mobile aus Federn im Luftzug, der durch die Türöffnung hereinwehte.
    Ich rieb mir über die Stirn. „Was ist denn passiert?“
    Rokan stellte den Becher beiseite und kramte in einer Truhe herum, räusperte sich. „Du bist gestürzt“, sagte er.
    „Natürlich!“ Ich richtete mich auf und fiel sofort wieder zurück. Alles drehte sich. Vor meinen Augen tanzten phosphoreszierende Staubkörner. Ich versuchte die aufsteigende Übelkeit wegzuatmen.
    Rokan legte mir ein kühles Tuch auf die Stirn. „Du solltest liegen bleiben, du brauchst Ruhe.“ Er wollte aufstehen und ich packte sein Handgelenk, ignorierte den Schmerz, der sich in meine Schläfen bohrte.
    „Hast du sie gesehen?“, flüsterte ich. „Ist sie es?“
    Rokan sah mir fest in die Augen und nickt. Dann schüttelte er den Kopf und atmete tief durch. „Es ist ihr Körper, doch er scheint leer, wie der verlassene Kokon eines Seidenspinners.“
    „Bring mich zu ihr.“ Mein Herz raste und mein Kopf wollte explodieren, als ich mich an Rokans Arm nach oben zog.
    Er half mir beim Aufstehen und ich stützte mich fest auf seine Schulter. „Maya hat alles versucht, was in ihrer Macht steht“, sagte er beim Hinausgehen. „Auch die Kräfte der Baumgeister reichen nicht aus. Sie sind ratlos, noch nie ist ihnen ein solcher Fall begegnet.“
    „Aber was ist denn mit ihr? Ist sie krank?“ Die frische Abendluft klärte meine Gedanken und der Schmerz wurde zu einem erträglich, wenn auch lästigen

Weitere Kostenlose Bücher