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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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den Platz gegenüber fallen und Lizzie begann sofort, sie mit Fragen zu löchern. Ob man hier irgendwo gute Reitstiefel kaufen könnte und ob es im Herbst immer so viel regnen würde und wann denn Morgen die Sonne aufginge. Lizzie war so enthusiastisch und voller Tatendrang. Ich hoffte nur, dass sie nicht enttäuscht wurde. Ich spürte Blicke auf mir und sah zum Tresen hinüber. Etienne funkelte mich an und ich senkte den Kopf.
    Immer wieder schlichen sich Agnès‘ Augen in meine Gedanken. Ihr Blick, als ich gegangen war. Ich brachte keinen Bissen mehr herunter und schob meinen Teller zur Seite.
    „Was ist denn los, Süße?“ Chloé legte ihre Hand auf meine und ich zog sie unwirsch zurück.
    „Darf man denn nicht einfach mal keinen Hunger haben?“, antwortete ich viel zu barsch. Meine Unhöflichkeit tat mir leid. Aber ich konnte nicht anders.
    Chloé sah betreten auf ihren Teller. Etienne und Jacques wandten ihre Köpfe zu uns. Lizzie stand der Mund offen.
    „Ja, ich darf auch mal schlechte Laune haben!“, fuhr ich sie an. Kurzentschlossen stapfte ich hinter die Theke und zapfte mir einen Krug voll Bier. Dann setzte ich mich neben Jacques auf einen der Barhocker. Der Junge strahlte mich an, als ich meinen Krug erhob und ihm zuprostete.
    „À la tienne! “, rief ich viel zu laut und nahm einen tiefen Zug.
    Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wünschte mir, wir wären niemals in dieses vermaledeite Dorf gelangt.
    „Cat?“ Jacques tippte mich an die Schulter. Er hatte etwas gefragt, aber ich war zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt gewesen, um es zu hören.
    „Entschuldige“, sagte ich. „Was wolltest du wissen?“
    Er betrachtete seine Fingernägel. Seine Ohren lugten rot unter den etwas zu langen Haaren hervor.
    „Schade, dass ich dich heute Nachmittag verpasst habe. Ich musste Werkzeug aus dem Stall holen und Etienne helfen. Und als ich zurückkam, warst du schon weg.“
    „Ja, ich wollte noch …“ Mein Gehirn lief auf Hochtouren, aber mir fiel keine Ausrede ein. „Ich fand es auch schade“, sagte ich schließlich nur.
    Der Cavalier schnaubte wie einer seiner Hengste und Jacques ließ die Schultern hängen. Ich blinzelte ihm zu und stürzte den Rest meines Biers hinunter. Der Alkohol stieg mir zu Kopf. Meine Gedanken purzelten durcheinander. So verwirrt war ich nicht mehr gewesen, seit ich zum ersten Mal verliebt gewesen war.
    Die Tür schlug mit einem Krachen auf und ein frischer Wind wehte mir die Haare ins Gesicht. Etienne sprang von seinem Hocker. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus als ich mich umdrehte.
    Agnès! Sie trug ein langes Kleid. Eine Silberkette betonte ihren schmalen Hals. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt. Ich spürte wie das Blut aus meinen Wangen wich.
    Mit zwei langen Schritten stand Etienne neben ihr und packte sie grob am Arm. Er versuchte sie zur Tür zu schieben, aber sie schüttelte ihn ab und setzte sich an den Tresen. Nur ein Barhocker trennte mich von ihr.
    „Agnès!“ Chloé umarmte die junge Frau und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Schön, dass du wieder einmal herüber kommst.“
    Etienne schlug mit der Hand auf die Theke. „Sie sollte nicht …“
    „Sei still, Cavalier!“, fuhr ihm Chloé über den Mund. „Setz dich hin, oder geh nach Hause!“
    Seine Wangenknochen zuckten unter der Haut. Ich konnte das Knirschen seiner Zähne hören. Er ballte die Fäuste. Ich hielt die Luft an. Nach einem Moment der Stille setzte er sich auf seinen Hocker.
    „Gibst du mir noch ein Bier, Chloé?“, knurrte er.
    Die Wirtin zapfte seinen Krug voll und füllte auch meinen nach.
    Ich hatte Mühe gleichmäßig zu atmen. Ich fühlte Agnès‘ Blicke. Ihre Nähe trieb meinen Pulsschlag in die Höhe, auch wenn ich nicht wagte sie anzusehen.
    Ich drehte mich zu Lizzie um. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und funkelte Etienne unter zusammengezogenen Augenbrauen an. Sie dachte sicher, dass Agnès seine Frau oder Freundin sei. Ich atmete tief durch und ging zu ihr an den Tisch.
    „Es ist sicher nicht so, wie es aussieht“, versuchte ich sie aufzumuntern.
    „Was denn?“, zischte sie. „Es ist mir egal, was dieser Kerl treibt.“ Sie sah mich trotzig an.
    Ich nickte, obwohl ich spürte, wie unsicher und verletzt sie war.
    Die Atmosphäre des Raums war geladen. Ich konnte die Spannung fast greifen. Selbst Chloés Fröhlichkeit schien unter einem grauen Schleier zu liegen.
    „Lass uns ein paar Schritte gehen.“ Ich streckte Lizzie die Hand entgegen

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