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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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sagte Vorak. „Nicht stark genug, dass sie eine unmittelbare Gefahr darstellen, aber auch Eichhörnchen tragen einen gewaltigen Berg Nüsse zusammen, wenn ihnen genügend Zeit bleibt. Direkt neben dem Anwesen hat sich ein solcher Riss geöffnet. Es ist kein guter Riss. Er stinkt. Aber m öglicherweise sind sie hindurch gegangen. Ich werde euch hinführen.“
    Ich zog die Augenbrauen nach oben. „Ich dachte, du wolltest uns nicht helfen.“
    „Ich helfe euch auch nicht.“ Er zupfte seinen Zopf zurecht und stand auf, verschloss die Weinflasche mit einem Korken. „Ich gehe nur zufällig in die gleiche Richtung.“
    Ich formte ein lautloses Danke und er grinste mich an. „Wann gehen wir?“, fragte ich.
    „Einen Weg beginnt man mit dem Entschluss zu gehen, also ist der erste Schritt schon getan.“ Rokan schulterte seinen Rucksack, der bereits gepackt neben ihm gestanden hatte. „Und den zweiten machen wir jetzt.“
    „Sofort?“ Ich sprang auf und sah unwillkürlich zum Eingang der Hütte, in der ich Agnès vermutete. Jacques legte mir die Hand auf die Schulter. „Ich gehe meinen Mantel holen“, sagte er und nickte mir zu. „Möchtest du auch noch etwas Wichtiges erledigen?“
    „Ich bin gleich wieder da“, antwortete ich. „Gebt mir fünf Minuten.“
    In der Hütte brannte eine Kerze. Agnès saß auf ihrem Lager und betrachtete ihre Hände. Ballte sie zur Faust zusammen und öffnete sie wieder. Auf den Knien hielt sie eine Leinwand. Unsichere Pinselstriche verbanden die Farben zu einem Knäuel aus Rot und braun und dunklem Grün.
    Ich ging vor ihr in die Hocke und schloss meine Finger um ihre. Sie zuckte, zog die Hände aber nicht zurück.
    „Ich muss gehen, aber ich bin bald wieder bei dir “, sagte ich. Agnès sah mich nur mit ihren Meeraugen an. In ihren Pupillen schlugen Wellen im flackernden Kerzenlicht. „Ich würde dir so gerne etwas geben, aber ich habe gar nichts … Doch!“ Ich rannte hinaus zu Rokan. „Das Feuerzeug“, rief ich ihm zu. „Gib mir bitte das Feuerzeug.“
    „Was willst du denn jetzt damit?“
    „Bitte, Rokan, frag nicht, es ist wichtig.“ Nach kurzem Suchen reichte er mir den silbernen Gegenstand. Ich achtete nicht auf die verwunderten Blicke und lief zurück. Ich schloss Agnès‘ Finger um das kühle Metall.
    „Das hat mir geholfen, mich zu erinnern, als ich mich vergessen hatte. Vielleicht hilft es dir auch.“
    Sie drehte es in den Händen, befühlte die Oberfläche, dann sah sie mich fragend an. Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und beeilte mich, nach draußen zu kommen, bevor ich wieder anfinge zu heulen.
    Mit ausladenden Schritten ging ich an den Männern vorbei. „Ich bin schon beim zwölften Schritt“, rief ich über meine Schulter. „Und was ist mit euch?“

    12 . September
    Es ist so weit. Heute Abend werde ich Dich fortbringen, unter dem Schutz der Dunkelheit. Ein neues Feuer wird brennen, die Dorfbewohner werden abgelenkt sein. So hoffe ich.
    Der Besitzer des Pferdestalls hat unseren Vertrag gebrochen. Er wird nicht zum verabredeten Treffpunkt kommen. Er hat Angst. Wer hätte die nicht? Ich fürchte mich jeden Tag ein bisschen mehr.
    Du bist so blass. Deine Haut ist durchscheinend wie Pergament. Die lange Zeit im Haus hat sie brüc hig gemacht. Ich weiß , wie sehr D ir d ie Sonne fehlt.
    Das Ding ist schwächer als je zuvor. Es röchelt bei jedem Atemzug. Die anderen Dinger sind verschwunden. Nicht einmal mehr nachts höre ich ihre anklagenden Rufe.
    Ich habe mich hinausgewagt und ich weiß jetzt, was zu tun ist. Unter der kleinen Gruppe Birken, vor dem Wald, ist etwas. Ein Durchgang. Vielleicht hat der Herr sich Deiner erinnert, vielleicht ist es Zauberei, a ber es ist der einzige Ausweg , den ich sehe.
    Ich schicke ein Gebet zu den himmlischen Wächtern und hoffe, dass sie ihre Augen und Ohren nicht verschließen, wie ic h meine verschlossen hatte. Um d einetwillen.

    W ir rasteten am Rand des Waldes, als die Sonne zu sinken begann. Rokan entfachte ein Feuer in einem Kreis aus Steinen und verteilte das Brot, das er aus dem Rucksack geholt hatte. Wir aßen schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach. Meine Füße schmerzten. Ich zog die Schuhe aus und massierte meine Zehen, während die Männer unser provisorisches Nachtlager auf dem Waldboden richteten .
    „Wie weit ist es noch?“, fragte ich . Die Ungewissheit bereitete mir Kopfzerbrechen. Und ich wollte so schnell wie m öglich zurück sein.
    „Ein Tagesmarsch“, sagte Vorak.

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