Cosm
nämlich, über natürliche Barrieren hinweg Eingriffe in die Naturzusammenhänge vorzunehmen. Nicht nur die Grenzen von Arten (›Sch(afsz)iege‹), sondern auch von Reichen der Natur können überschritten werden, indem etwa tierisches genetisches Material in Pflanzen ›eingebaut‹ wird, um die Resistenz zu erhöhen. 25
›Natur‹ – auch die ›Natur‹ des Menschen – wird also durch die wissenschaftliche Technik immer weniger als vorgegebene betrachtet, sondern vielmehr als etwas, das der Mensch auch in seinen letzten Strukturen selbst transformieren kann. Aus der natura prima wird die natura secunda, die selbstgeschaffene Natur.
Damit ändert sich die Bedeutung der Wissenschaft für die Menschheit. Fragen wir nach dieser geänderten Bedeutung.
In der Frage nach dem, was die Bedeutung einer wissenschaftlichen Technik ausmacht, steckt ein unvermeidliches Sinnimplikat. Es ist die Behauptung, daß diese Technik nicht nur Sinn für sich habe, sondern lebensbedeutsam sei. Damit haben wir einen ersten Zugang zum Glauben an die wissenschaftliche Technik erreicht.
Dieses positive Verhältnis zur wissenschaftlichen Technik kann als schlichte notwendige Voraussetzung, nämlich als ›Wissenschaftsvertrauen‹ gegeben sein. Es kann sich aber auch selbst mißverstehen und weltanschauungsbildend werden. Im letzteren Falle wird das ›Wissenschaftsvertrauen‹ zum ›Wissenschaftsglauben‹ . Auf dieser Stufe sieht der Wissenschaftsglaube Wissenschaft nicht nur als lebensbedeutsam an, sondern als grundlegend lebensbedeutsam. Es wird hier versucht, ineins mit dem Begriff einer Wissenschaft und der ihr entsprechenden Technologie Vorschläge zum glückenden Leben in seiner Totalität zu vermitteln.
Geschichtsphilosophisch entspricht dem Wissenschaftsglauben eine über schlichte Religion und akademische Metaphysik zu sich kommende Naturwissenschaft.
Das Grundmodell dieser Geschichtsphilosophie wurde durch Auguste Comte (1798-1857) entwickelt. Comte entwarf die Geschichte der Menschheit als Abfolge dreier großer Stadien. 26 Es gibt ein ›theologisches Stadium‹ der Menschheit, in dem Naturgegebenheiten unvermittelt als Gottheiten verehrt werden. Dieses wird durch das ›metaphysische Stadium‹ überwunden, das diese Gottheiten als abstrakte Wesenheiten faßt und endlich selbst durch ein ›positives Stadium‹ aufgehoben wird, in dem sich diese abstrakten Wesenheiten als Thema der Erfahrungswissenschaften ergeben. Indem sich die Menschheit aus eigener Kraft zu diesem endgültigen Ziel erhebt 27 , hat sie das Recht, sich selbst an die Stelle der Gottheit zu setzen. Sie verehrt sich in ihren bedeutenden Menschen als das ›große Wesen‹, bildet als solches das religiöse ›Triumvirat‹, die ›positive Trinität‹ zusammen mit dem ›großen Fetisch‹ (die Erde mit dem Sonnensystem) und dem ›großen Mittel‹ (dem Weltraum). So darf sich die Menschheit im persönlichen 28 , häuslichen und öffentlichen Kult einen eigenen Heiligenkalender 29 und Dogmen geben, die durch Priester verwaltet werden, die Erzieher der Menschheit, Ärzte und Philosophen sein sollten.
Diese triumphale Geschichte wird – mit Comte – auch als ›Religionsgeschichte‹ gedacht.
Die Religionsgeschichte zeige – so der populäre Naturphilosoph Ludwig Büchner (1824-1899) –, daß an die »Stelle der anfänglichen Götteropfer und Gottes-Verehrung eine allmähliche Umwandlung des Kultus der Götter in den Kultus des Menschen tritt, das der Letztere in dem selben Maße an Kraft, Einsicht und Glück gewinnt, in welchem er sich auf die eigenen Füße stellt oder auf die eigene Kraft verläßt«. 30
So entwickele sich eine »Religion der Humanität oder des Freidenkerrums«. 31 Die die Technik und Wissenschaft kultivierenden Bürger könnten sich so, losgelöst von der Metaphysik des Christentums, als dazu bestimmt betrachten, »zu Göttern oder Beherrschern der Erde zu werden«. 32
Nach Büchner gibt es für diese der Materie entstammenden ›Götter‹ deshalb Geist, weil dies zur Struktur der Selbstentfaltung der Materie gehört:
»Welche Wirkungen gäbe es, die wir dem Stoff nach dem, was wir bereits durch ihn geleistet sehen, nicht zutrauen könnten! Nicht nur physikalische, sondern auch geistige Kräfte wohnen ihm inne, und wie er nach und nach in einer aufsteigenden Stufenleiter Erzeugnisse immer höherer Art bis zu dem Menschen selbst hervorgebracht hat, so werden seinem Schöße vielleicht dereinst Wesen entsteigen, welche
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