Cosm
sondern das Seelische und danach das Geistliche – denn da jeder aus verdammtem Geschlecht abstammt, muß er als Adams Nachfahr unausweichlich zunächst böse und fleischlich sein, aber durch Wiedergeburt und Wachstum in Christus wird er später gut und geistlich –, so verhält es sich auch mit der Menschheit als Ganzer. Als jene beiden Staaten mit ihrer Aufeinanderfolge von Geburt und Tod anfingen sich zu entfalten, da ward zuerst der Bürger dieser Erdenwelt geboren. Nach ihm aber der ein Fremdling auf Erden und Glied des Gottesstaates war, aus Gnaden vorherbestimmt, aus Gnaden auserkoren, aus Gnaden ein Fremdling hier unten, aus Gnaden ein Bürger droben.«
Die gesamte Weltgeschichte ist nun eine Entfaltung dieses grundlegenden Gegensatzes zweier Staaten. Sie endet mit dem Gericht und der Wiederherstellung der göttlichen Ordnung.
Auf diese Weise ist die gesamte Weltgeschichte, also die zeitliche Erstreckung dieses Kosmos prinzipiell überschaubar und wird als ganz in Gottes Hand befindlich verstanden.
In dem Augenblick, in dem das kopernikanische Weltbild ins Bewußtsein rückt, erscheint die Erde hingegen immer deutlicher als ein Staubkorn inmitten eines gewaltigen Wirbels von Sonnen und möglichen Trabanten dieser Sonnen. Gott scheint sich im Weltall aufzulösen. Das zentrale Ereignis der raumzeitlichen Heilsgeschichte im geozentrischen Weltbild, die Herabkunft Jesu Christi als des Sohnes Gottes auf die Erde, wird relativiert.
Der Leibarzt Ludwigs XIII. und Bibliothekar des Staatsmannes und Kardinals Jules Mazarin (1602-1661) Gabriel Naude schreibt am 15. August 1640 an Ismael Bouilleau:
»Ich habe Angst, dass jene alten theologischen Häresien nichts sind im Vergleich mit den neuen, die die Astronomen mit ihren Welten oder mit ihren vielen mondartigen und am Himmel befindlichen Erden einführen wollen. Denn die Konsequenz aus dieser wird viel verderblicher sein als die (Konsequenzen, L. H.) der vorhergehenden (Häresien, L. H.) und sie wird die fremdartigsten Umwälzungen mit sich bringen.« 10
Ist – so kann man sich fragen – das Christusereignis vielleicht nur ein Nebenschauplatz auf einem ›Provinzplaneten‹ 11 und welche Rolle spielt Gott in diesem unübersichtlichen kosmischen Gewirr?
Ab dem 15. Jahrhundert hat sich im Laufe der Jahrhunderte dieses Bewußtsein in unsere neuzeitliche und moderne Mentalität eingeschlichen. Kopernikus’ Aufmerksamkeit auf die jährliche Drehbewegung der Erde um die Sonne macht aus der Erde einen Wandelstern unter prinzipiell unzähligen anderen, obwohl er noch die Begrenzung des Kosmos durch die Fixsternsphäre annimmt. Damit ist für Kopernikus trotzdem noch die Welt im ganzen kugelförmig und endlich. So bleibt zwar der Kosmos eine riesige Kugelschale, obwohl sein Systemansatz dieser Annahme nicht mehr bedarf. Insofern spricht man zurecht von der kopernikanischen Revolution. In der Folge wird diese kopernikanische Revolution konsequent zu Ende vollzogen. Thomas Digges macht folgerichtig in ›A Perfit Description of the Caelestiall Orbes‹ (1576) 12 mit dem neuen Weltbild ernst. Er setzt eine unbegrenzte (euklidische) Sternenwelt voraus. Was bei Kopernikus noch als wissenschaftliche Hypothese galt, hat weiterhin Galileo Galilei als objektiv wissenschaftlich richtiges Weltbild vorgetragen und sich entsprechend die Kritik der auf dem hypothetischen Charakter dieses Weltbildes bestehenden Kirche zugezogen. Aber auch nach Galilei blieb dieses Weltbild weitgehend eine ›exklusive Vorstellung weniger Spezialgelehrter‹. 13 Erst die Möglichkeit, die Erde vom Mond aus oder vom Wege zum Monde her schwebend im Weltraum zu fotografieren und so allgemein das kopernikanische Bewußtsein zugänglich zu machen, hat das hervorgerufen, was der Theologe Ernst Benz den ›kopernikanischen Schock‹ nennt. Am 24.12.1968, also am Heiligabend, dem Vorabend eines christlichen Zentralfeiertages, findet der erste kosmische ›heilige‹ Abend statt, nämlich die erste Ausstrahlung von Gesamtaufnahmen der Erde durch die Mannschaft der Mondrakete Apollo 8 auf zahllosen Fernsehschirmen.
Mit diesen Bildern ist das Bewußtsein der möglichen raumzeitlichen Unbegrenztheit des Weltalls und der möglichen Einsamkeit des Menschen im Kosmos endgültig öffentlich lebensbedeutsam geworden.
Zu dieser Problematik der unübersehbaren Erstreckung des nachkopernikanischen räumlichen Kosmos tritt seit dem 19. Jahrhundert noch die Unübersehbarkeit des Kosmos im Zeitlichen und im Psychischen
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