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Cosm

Cosm

Titel: Cosm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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durchgeführt wurden.
    Der Vorraum zu Alicias Versuchsstation – einer von sechs entlang des Rings verteilten Beobachtungsposten – war eine Zelle aus grauem Beton. In allen diesen Stationen waren Teams aus Laborangestellten und auswärtige Nutzer gemeinsam damit beschäftigt, die zahllosen Auswirkungen von Teilchenkollisionen zu studieren. Auf dem Weg zu ihrer Gruppe mußte Alicia an vielen riesigen Apparaten vorbei, unter anderem an den hohen, glatten Zylindern der Northrup Grumman-Magneten. Kein Summen war zu hören, man spürte nur den Hauch der Kryokühlung. RHIC brauchte fast zweitausend von diesen supraleitenden Spulen, und es hatte sich gezeigt, daß diese bekannte Luft- und Raumfahrtgesellschaft am besten imstande war, den Bedarf zu decken. Mit einer Auftragssumme von einer halben Milliarde Dollar hatte das Projekt freilich eine ganze Schar von Freiern aus der Industrie angelockt.
    Alicia schlängelte sich durch den Irrgarten der eben laufenden Versuche. Die meisten Laien stellten sichunter einem Labor einen sterilen Raum vor, wo alles seinen Platz hatte und ein einsamer Wissenschaftler in weißem Kittel mit sparsamen, genau abgezirkelten Bewegungen vor sich hin forschte. Doch die großen Experimente in der Kern- und Elementarteilchenphysik waren oft mit Lärm verbunden, und wo es auf Sauberkeit nicht ankam, ging es nicht selten drunter und drüber. Große, mit Instrumenten vollgepackte Metallregale standen zum Teil kreuz und quer im Raum. Es roch nach Öl und Stahlspänen. Unter rohen Holzkästen verbargen sich Bündel armdicker Elektroleitungen. Einige der Kabelstränge waren so voluminös, daß man sie mit kleinen Trittleitern überbrückt hatte, um sie passierbar zu machen. Ein einziges, unvermeidliches Chaos.
    Obwohl Alicia ihren Ärger noch nicht überwunden hatte, war ihr klar, daß sie sich glücklich schätzen durfte, überhaupt so weit gekommen zu sein. Es gab genügend begabte Physiker, die sich mit dem Telefonverkauf von Wertpapieren über Wasser hielten oder in einer Vertriebslaufbahn Erfüllung suchten. Sie war von Anfang an dabeigewesen, hatte schon als Doktorandin im Team der UC-Berkeley an einem der Detektoren mitgebaut. Als der Beschleuniger im Jahre 1999 zum ersten Mal in Betrieb ging, hatte sie daher ihre Ansprüche sofort anmelden können, und das zahlte sich jetzt aus.
    Natürlich hatte man den Collider 1999 nur ein paar Stunden bei niedriger Leistung gefahren, um den Zeitplan einzuhalten, dann war gleich wieder abgeschaltet worden. Das gab der Verwaltung die Möglichkeit, für die Fertigstellung der Anlage Mittel abzuzweigen, die eigentlich für den Betrieb vorgesehen waren. Nach der Katastrophe mit dem ›Superconducting Supercollider‹ Anfang der neunziger Jahre hätte niemand mehr gewagt, das Budget zu überschreiten.
    Den Charakter des Provisorischen hatte sich RHIC seither bewahrt. Die Rohre waren mit Metallfolie und Kabelband umwickelt. Alles funktionierte gerade soweit wie unbedingt nötig. Auf gutes Aussehen legte man keinen Wert. Nur die Ergebnisse zählten – Punktum. Brookhaven war einer der letzten Orte auf der Welt, wo noch physikalische Forschung im großen Stil betrieben wurde.
    Man hatte hier so etwas wie Pioniergeist entwickelt. Alle großen Rennbahnsynchrotrone funktionierten im Uhrzeigersinn, nur der ›Feeder‹ von Brookhaven tanzte aus der Reihe; RHIC war als Collider konzipiert, bei dem die Teilchenströme in beide Richtungen geschickt wurden. Als man sich bei Fermilab und CERN dennoch über den ›Rückwärtsläufer‹ mokierte, hatte jemand die Laboruhr umgestellt, so daß sie nun andersherum lief. Nun konnte man sich brüsten, den einzigen im Uhrzeigersinn arbeitenden Beschleunigerring zu haben – nach eigener Uhr.
    Zugegeben, das ›Brookhaven National Laboratory‹ stand im entlegensten Winkel von Long Island. Hier draußen, fernab der Großstadt, konnten sich die Leute mit einem Sixpack Coors-Bier und einer Fliegenklatsche noch einen ganzen Abend lang amüsieren. Was nun nicht heißen soll, daß Alicia oder die anderen Physiker große Ansprüche an ihre Umgebung gestellt hätten; im Physik-Gulag wurde ohnehin nur gearbeitet und nichts sonst.
    Das beste Beispiel war Zak Nguyen, der als Postdoktorand, kurz Postdoc, für Alicia tätig war. »Die Kalibrierung steht«, sagte er anstelle einer Begrüßung, ohne den Blick von seinem Bildschirm zu wenden.
    »Schön, schön«, antwortete sie kleinlaut. Er hob vor Aufregung über seinen ersten Versuch fast ab

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