Cosmic Trigger (Band 3)
„Everything in that film was a fake!“ Wiederholt sieht man
Orson im
Schneideraum mit einer Moviola arbeiten. Er zeigt, wie die Moviola
arbeitet,
indem er eine Rede von Irving nimmt und sie an eine andere Stelle der
‚Geschichte’ verschiebt. Er lässt dich nicht für mehr als zwei oder
drei
Minuten vergessen, dass er da sitzt … aus dem Rohmaterial, das du
gewöhnlich
nicht siehst, auswählend und arrangierend, was du schließlich auf dem
Bildschirm siehst.
In
einer frechen Sequenz hält Elmyr
(in Ibiza) plötzlich mitten im Satz inne als suche er ein Wort. Orson –
der,
wie wir mittlerweile wissen, in einer Galerie in Paris sitzt – sagt es
Elmyr
vor: Elmyr scheint dann auf wundersame Weise Orsons
Wort zu hören und
benutzt es, um den Satz zu vervollständigen … ein Effekt, der Welles´
früheste
Experimente – auf recht scharfsinnige Weise Rohmaterial zu editieren –
widerspiegelt (wie auch in einer Szene von Kane , in
der Leute scheinbar
auf die gesprochenen Worte von anderen Leuten reagieren, die in einer
Szene
auftreten, die 10 Jahre vorher spielt).
Doch
dieses Editieren (Welles in Paris
spricht Elmyr in Ibiza vor) erinnert uns ganz deutlich daran, was
eigentlich im
Montageraum geschieht. Orson hat nämlich alles orchestriert … nicht um
eine ‚normale’ Dokumentation zu erschaffen, sondern um eine Satire auf
eine
Geisteshaltung zu machen, durch die man an Dokumentationen glaubt.
Genauso ist War
of the Worlds eine Satire auf jene, die an die offiziellen
News der Medien
glauben.
In
dieser ‚Enthüllungs’-Szene (Wer
fälschte die Signaturen? Und beobachten wir hier wirklich eine
Selbst-Beschuldigung?) tickt wieder eine Uhr und überzeugt den
Naivling, dass
das, was wir sehen, tatsächlich in der Realität passiert. Welles hat
sich mit
dem Tonmischer verschworen. Man kann eine ähnliche ‚Enthüllungs’-Szene
erzeugen, indem man zehn oder zwölf Close-Ups aus einem halben Jahr
zusammenfügt, einen Soundtrack mit dem Ticken einer Uhr darunter legt
und dann
seine eigene Vorstellungskraft nutzt und einen Dialog erzeugt, bei dem
sich die
Leute zu unterhalten scheinen. Die einzelnen Close-Ups in der
Zwischenzeit
werden den Eindruck erwecken, dass sie zusammengehören, obwohl sie
tatsächlich
keine reale Verknüpfung haben.
Dementsprechend
haben die Russen in
den 20er Jahren herausgefunden, dass ein Schauspieler, der angewiesen
wird,
keine Emotionen zu zeigen (während er zum Beispiel aus einem Fenster
schaut), scheinbar jede Emotion zeigt, die der Regisseur haben möchte, sofern diese Szene
mit
anderen unabhängigen Szenen zusammengeschnitten wurde. Sehen wir
beispielsweise
in der anderen Szene ein sterbendes Kind, dann scheint die eigentliche
Ausdruckslosigkeit des Schauspielers plötzlich eine so starke Trauer
darzustellen, die so tief ist, dass sie nicht zum Ausdruck gebracht
werden
kann. Ein spielender Hund? Von demselben Schauspieler mit derselben
Ausdruckslosigkeit scheint ein stilles Amüsement auszugehen …
Eine
weitere meiner Lieblingspassagen
in F For Fake nutzt das Klicken der High Heels
einer Frau in derselben
Weise, in der die Eröffnungssequenz das Ticken der Uhr nutzt. Oja
Kodor,
Welles´ letzte Frau (oder Mätresse) – veröffentlichte Berichte weichen
bezüglich der Legalität ihrer Beziehung stark voneinander ab –, geht
eine
Straße hinunter und sieht dabei in ihrem Mini-Shirt absolut fabelhaft
aus.
Orsons Stimme aus dem Off informiert uns, dass wir nun die
traditionelle
männliche Art und Weise beobachten, ein ‚Mädchen anzuschauen’. Dabei
wurden
viele unterschiedliche männliche Gesichter in die Szene ihres Ganges
die Straße
hinunter hineinmontiert. Jedes dieser Gesichter drückt eigentlich nur
(soweit
ich es nach mehrmaligem Sehen noch beurteilen kann) die vollkommenste
Ungebundenheit und Ambiguität aus. (Orson hatte in der Woche, in der er
in
Paris drehte, nach diesen ausdruckslosen Gesichtern Ausschau gehalten.)
Der
Klang von Ojas Heels und die Close-Ups auf ihre wackelnden Hüften
überzeugen
aber den unachtsamen Beobachter, dass jedes der männlichen Gesichter
auf diese
Dame sexuell reagiert (deren Name wie OY-a ausgesprochen wird).
Ich
habe kürzlich die Sequenz während
einem meiner Seminare gezeigt, und alle Leute haben in den Gesichtern
hauptsächlich Geilheit gesehen oder eine lustvolle Beurteilung oder
männlichen
Chauvinismus oder irgendeine erotische Reaktion. Da das Klicken der
Stöckelschuhe dazu dient, uns diese Art von Reaktion zu
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