Cosmic Trigger (Band 3)
‚verkaufen’,
nehme ich
Orsons Ausspruch: „Everything was a fake“ hier wortwörtlich. Keiner der
Männer
in dieser Szene hat Oja Kodor tatsächlich gesehen. Möglicherweise haben
sie
eigentlich nur gedacht: Nur noch zwei Wochen, bis die Steuer
fällig wird,
und ich habe noch kein Geld – Wo zur Hölle habe ich nur meine
Zahnbürste
gelassen? – Ich denke, ich nutze eine Zeile von Moli è re,
um meine
Vorlesung zu eröffnen – Zeit aufzuhören und einen Kaffee zu trinken …
etc.
Jedes
Mal, wenn ich diesen wunderbaren
Film sehe, frage ich mich, wie viel Orson darin wirklich gefälscht hat.
Seine
Aussage, alles gefälscht zu haben, scheint mir ein wenig übertrieben zu
sein
(Elmyr und Irving und Ibiza existierten wirklich). Ich frage mich
manchmal, wie
weit es Orson mit seinem grotesken Humor hier getrieben hat. Swift
gestaltete
alles in Lilliput mit wissenschaftlicher Sorgfalt ein Sechstel so groß
wie
seine englischen Äquivalente. Hat Orson die Fälscherei sogar bis auf
seine
eigene Magie ausgeweitet?
Ich
meine, Mann, wir wissen alle, dass
Orson sehr ausgeprägte Fähigkeiten als Bühnenmagier hatte (ich sah ihm
einmal
zu und kenne daher seine superben Fertigkeiten nicht nur vom
Hörensagen) und
dass er ein Mitglied des Magic Castle war (dem nur professionelle
Magier
angehören). Doch … in einem Fake-Film über eine gefälschte Biografie
eines
Malerfälschers: Warum nicht auch die Magie fälschen? Hat Orson
möglicherweise
jeden Bühnenmagietrick in dem Film ohne jede reale Bühnenmagie
vollzogen, indem
er nur die magische Montage der Kamera nutzte? Würde er sich
herablassen, seine
eigene Magie im Interesse künstlerischer Einheitlichkeit zu fälschen?
Am
Ende des Films ‚gesteht’ Orson,
dass der Film siebzehn Minuten Fälschung enthält. Doch diese siebzehn
Minuten
werfen, sobald als Fiction entlarvt, einen großen Schatten des Zweifels
auf
viele andere Szenen, was bis zu einem gewissen Ausmaß auf den
erfundenen
Segmenten, die als Wahrheit durchgehen, basiert.
Kurz,
wie alle wahrhaft postmoderne
Kunst drängt F For Fake einen dazu, wie ein
Fuzzy-Logiker zu denken,
oder zumindest wie ein Nicht-Aristoteliker. Entgegen Welles´ BBC
Interview ist
„Alles“ in dem Film keine Fälschung. Man kann tatsächlich Oja Kodor
aufspüren,
wenn auch nicht ihren ‚ungarischen Großvater’. Doch viele Teile des
Films, die
logisch mit den siebzehn Minuten der Fälschung verknüpft sind,
verbleiben
rätselhaft und können nicht beurteilt werden. Wir können nicht ‚Ja’
oder ‚Nein’
zu diesem Film sagen und müssen das meiste von ihm als ‚Vielleicht’
betrachten,
dort, wo von Neumann und Finkelstein (unter anderen) Quantensysteme
lokalisieren. (Viele zentrale Szenen in Welles´ früheren, weniger
experimentellen
Filmen verfügen ebenso über diese ‚Vielleicht’-Qualität).
Ich
akzeptiere, dass Elmyr existierte
und eine Menge Bilder gefälscht hat und dass Welles, Irving, das Look- Magazin
usw. diesen Typen nicht erfunden haben.
Ich
akzeptiere hingegen nicht die
‚Tatsache’, dass Oja Kodor ‚ungarisch’ oder ‚sehr reich’ war. Ich
vermute, sie
kommt aus Jugoslawien (wie viele Journalisten behaupten) und hat bei
weitem
nicht so viel Geld, wie der Film impliziert (ansonsten hätte Orson viel
mehr
Filme gemacht …).
Ich
denke, Welles übertreibt
absichtlich das Ausmaß, mit dem Elmyrs in den Abteilungen für Moderne
Kunst in
den Museen hängen. Aber ich traue mich nicht zu schätzen, inwieweit Welles
übertreibt. Jeder Picasso existiert für mich in einem
‚Vielleicht’-Stadium …
vielleicht ein Picasso, vielleicht ein Elmyr.
Ich
fühle mich auch vollkommen
unfähig, eine Wahrscheinlichkeit für die Howard Hughes-Geschichten in
dem Film
anzugeben … besonders Hughes angeblichen Gebrauch von
Kleenex-Schachteln als
Schuhe sowie der Baum, in dessen Astgabeln ein Sandwich gesteckt wird …
Und
so weiter. Ich liebe diesen Film,
weil er den Zuschauer dazu drängt, in Form dieses
Post-Quanten-Zeitalters
denken zu lernen: Nicht in aristotelischem Entweder/oder, sondern in
Wahrscheinlichkeiten.
Ich
kenne nur einen einzigen Film, der
Welles´ Pfad darin folgt, eine so postmoderne ‚Dokumentation’ zu
machen,
nämlich Madonnas Truth or Dare .
Merkwürdigerweise
habe ich in all der
Kontroverse über diesen aus dem Gleichgewicht geratenen und amüsanten
Film nur
eine Kritikerin gefunden – nämlich E. Diedre Pribham in ihrer
gerissenen „ Seduction,
Control and the Search for Authenticity:
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