Cosmopolis
irgendwas fehlte dir. Oder nichts fehlte. Das war’s«, sagte er. »Nichts als Talent und Schwung. Genutzt. Ständig anständig genutzt.«
Sie suchte nach einem verlorenen Schuh.
»Aber das trifft inzwischen nicht mehr zu«, sagte sie.
Er beobachtete sie. Er glaubte nicht, dass er überrascht werden wollte, nicht einmal von einer Frau, dieser Frau, die ihm beigebracht hatte, wie man schaut, wie man Begeisterung feucht im Gesicht spürt, vor Vergnügen an einem Pinselstrich oder einem Farbstreifen dahinschmilzt.
Sie beugte sich zum Bett hinunter. Aber bevor sie ihren Schuh unter der Steppdecke hervorzog, die auf den Boden gerutscht war, fixierte sie ihn auf Augenhöhe.
»Nicht seit ein Element des Zweifels in dein Leben getreten ist.«
»Zweifel? Was ist Zweifel?«, sagte er. »Es gibt keinen Zweifel. Kein Mensch zweifelt mehr.«
Sie trat in den Schuh und zog den Rock zurecht.
»Allmählich glaubst du, es wäre interessanter zu zweifeln als zu schauspielern. Man braucht mehr Mut, um zu zweifeln.«
Sie flüsterte immer noch und wandte sich jetzt von ihm ab.
»Wenn das meinen Sexappeal steigert, wohin willst du dann?« Sie ging ans Telefon, das im Arbeitszimmer klingelte.
Er hatte eine Socke an, als es ihm einfiel. G. triacanthos. Er hatte gewusst, dass es ihm einfallen würde, und so war es auch. Der botanische Name des Baums im Hof. Gleditsia triacanthos. Der Christdorn.
Jetzt ging es ihm besser. Er wusste, wer er war, griff nach seinem Hemd und zog sich doppelt so schnell an.
Torval stand draußen vor der Tür. Ihre Blicke trafen sich nicht. Sie gingen zum Fahrstuhl und fuhren schweigend in die Eingangshalle. Er ließ Torval zuerst aussteigen und die Halle checken. Er musste zugeben, der Mann machte das gut, in einer weichen Choreografie aus Angriffsschritten, die diszipliniert waren und sauber. Dann gingen sie durch den Hof und nach draußen auf die Straße.
Sie standen neben dem Auto. Torval deutete auf das Haareschneiden, das in beiden Richtungen auf ihn wartete, nur wenige Meter entfernt. Dann wurden seine Augen kühl und reglos. Er hörte eine Stimme aus seinem Ohrknopf. Der Augenblick hatte eine bestimmte Schwingung, einen Hauch intensiver Erwartung.
»Gefahrenstufe blau«, sagte er schließlich. »Ein Toter.«
Der Fahrer hielt die Tür auf. Eric sah den Fahrer nicht an. Es gab Momente, da erwog er, den Fahrer anzusehen. Aber er hatte es noch nicht getan.
Der Tote war Arthur Rapp, geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds. Arthur Rapp war soeben bei Nike in Nordkorea ermordet worden. War erst vor einer Minute passiert. Eric sah immer wieder, wie es passierte, in obsessiven Wiederholungen, während das Auto einem Engpass auf der Lexington Avenue zukroch. Er hasste Arthur Rapp. Er hatte ihn schon gehasst, bevor sie sich kennenlernten. Es war ein methodischer Hass reinsten Blutes, der auf Unterschieden in Theorie und Interpretation beruhte. Dann lernte er den Mann kennen und hasste ihn persönlich und chaotisch, aus tiefstem, gewalttätigstem Herzen.
Rapp wurde live im Fernsehen ermordet, auf dem Money Channel. In Pjöngjang war es nach Mitternacht, und er gab ein Interview mit letzten Kommentaren an die Adresse des nordamerikanischen Publikums, nach historischen vierundzwanzig Stunden voller Zeremonien, Empfänge, Diners, Reden und Trinksprüche.
Eric sah auf einem Bildschirm zu, wie Rapp ein Dokument unterzeichnete, und auf einem anderen, wie er sich zum Sterben bereit machte.
Ein Mann mit kurzärmligem Hemd stürmte in den Kameraausschnitt und stach Arthur Rapp in Gesicht und Hals. Arthur Rapp umklammerte den Mann und schien ihn zu sich heranzuziehen, als wollte er ihm etwas Vertrauliches mitteilen. Taumelnd gingen sie zusammen zu Boden, in das Mikrokabel der Interviewerin verheddert. Sie wurde mit ihnen umgerissen, eine gertenschlanke Frau, deren Rockschlitz am Oberschenkel hochführte und zum Angelpunkt der Aufmerksamkeit wurde.
Auf der Straße lautes Hupen.
Einer der Bildschirme zeigte eine Nahaufnahme. Arthur Rapps zermatschtes Gesicht, das vor Schock und Schmerzen in Krämpfen nach außen quoll. Es sah aus wie zerdrückte Gemüsemasse. Eric wollte gern, dass sie es noch mal zeigten. Zeigt es noch mal. Das taten sie natürlich, und er wusste, sie würden es noch viele Male zeigen, bis tief in die Nacht, unsere Nacht, bis alle Sensation herausgesickert war oder bis jeder Mensch auf der Welt es gesehen hatte, je nachdem, was schneller der Fall war, aber er könnte
Weitere Kostenlose Bücher