Cottage mit Aussicht
fertig war, würde sie mehr Zeit zum Einkaufen haben. Jetzt fragte sie sich, ob sie hinreichend elegant und kultiviert erschien, um Max' Freundin sein zu können. Er hatte sie gewarnt - ihr mitgeteilt -, dass seine Freunde dort sein würden. Sie wollte ihm zur Ehre gereichen.
Wenigstens habe ich weder Pickel noch meine Periode, dachte sie, während sie sich inspizierte. Sie hatte Chloes Vorschlag, über künstliche Fingernägel nachzudenken, abgelehnt. Sie wusste, dass ein Nagel garantiert in einem peinlichen Augenblick abbrechen würde und dass sie - im Gegensatz zu Max - darüber kichern würde. Ihre eigenen Nägel waren kurz, aber für den Augenblick makellos sauber, da sie sich das Haar ausgiebig gewaschen hatte. Anna trug eine adrette kleine Lederjacke, eine Leihgabe von Chloe, die sie in einem Secondhandladen gekauft hatte. Wahrscheinlich hatte sie bereits bei dem Kauf an Anna gedacht. Sie sah ... nun, wenn nicht cool, dann doch zumindest nicht wie eine Vogelscheuche aus.
»Du hast Wangenknochen, und du bist nicht fett!«, hatte Chloe voller Neid gejammert. »Und du bist wirklich hübsch. Was kann sich eine Frau mehr wünschen?«
Schließlich fuhr der Zug in den Bahnhof ein, und Anna wandte sich vom Spiegel ab, trat auf den Bahnsteig und ging auf die Waggons zu. Sie musste aufhören, zwischen widerstrebender Bewunderung für ihr halbwegs präsentables Äußeres und der Angst zu schwanken, Max könnte nur einen Blick auf sie werfen und sie dann auf dem Bahnhof stehen lassen. Das fast sichere Wissen, dass sie heute Nacht ein Liebespaar werden würden, erfüllte sie mit einer Mischung aus glückseliger Vorfreude und Panik, vielleicht vergessen zu haben, wie man sich in solchen Situationen verhielt. Er war ein Mann von Welt, und sie - nun, sie war einfach ein Mädchen, das verliebt war. Das sollte genügen, dachte sie. Die Leidenschaft würde sie durch jedwede anfängliche Peinlichkeit führen.
Anna stieg in den Zug, stellte ihre Reisetasche ins Gepäckfach und setzte sich. Sie war jetzt schon erschöpft und schloss die Augen, in der Hoffnung, von Max zu träumen. Stattdessen wurden ihre Gedanken von einem Kaleidoskop aus Setzstufen, lichten Weiten und Überhängen - ihre Treppe ließ grüßen! - beherrscht, bis sie endlich einschlief.
Max wirkte in Knitterleinen sehr kultiviert. Anna hätte ihn liebend gern gefragt, ob er zerknittert aus dem Haus gekommen oder ob es unterwegs geschehen war. Bei Designermarken konnte man sich da nie sicher sein.
»Am Taxistand herrscht im Moment kein großer Andrang«, sagte er, nachdem er sie auf die Wange geküsst und mit einem anerkennenden Blick bedacht hatte. »Hier entlang.«
Es war angenehm, sich in die Obhut eines hochgewachsenen, selbstbewussten Mannes zu begeben, befand Anna, während er ihre Reisetasche nahm und ihr die Hand hinter die Taille legte, um sie in die richtige Richtung zu leiten. Sie freute sich zunehmend auf den vor ihr liegenden Abend.
Die Galerie war in Weiß gehalten, ganz in Weiß; alles war weiß (was Anna ganz und gar nicht gefiel). Nicht weiß waren lediglich die ausgestellten Bilder, die, wie Anna einräumen musste, fabelhaft aussahen. Nur dass man sie nicht wirklich sehen konnte, da so viele Leute gekommen waren, die sich allesamt lautstark unterhielten. Die meisten von ihnen trugen Schwarz.
»Wow«, murmelte Anna, während sie ein Glas Weißwein von einem Tablett nahm, auf dem lauter weiße Drinks standen. Die Bedienung trug lediglich ein eng anliegendes, weißes Etuikleid, das von kurz über den Brüsten bis knapp über die Hüften reichte. »Das ist wirklich erstaunlich.« Sie lächelte die junge Frau an, die zurücklächelte und weiterging - eine Kunststudentin wie aus dem Bilderbuch.
»Warst du noch nicht hier? Das überrascht mich«, bemerkte Max. »Oh, sieh mal, da ist Andreas! Lass dich ihm vorstellen. Ich hoffe, dass Julian, der vielleicht dein Haus kaufen wird, ebenfalls hier ist.«
Anna folgte Max, während er sich einen Weg durch das Gedränge bahnte. Ihr kam der Gedanke, dass alle Besucher der Galerie aus gesellschaftlichen Gründen hier waren - eher um gesehen zu werden, als um sich die Kunstwerke anzuschauen. Dies war nicht der richtige Ort, um sich ein wenig länger mit einem Kunstwerk zu beschäftigen.
Alle Frauen schienen hochgewachsen und skelettdürr zu sein und Armani zu tragen. Für einige der Männer galt das Gleiche, aber andere waren älter und hässlich und wirkten viel interessanter. Anna fühlte sich
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