Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
Interesse spürte, blieb stehen. »1835 wurde der Altartisch ausgehöhlt, um einen angemessenen Platz für den Heiligen zu schaffen. Dort ruht er nun. Und heute Nacht wird der Sarkophag zum ersten Mal seit damals geöffnet.« Der Nuntius sah auf die Uhr. »Es ist gleich ein Uhr. Die Männer werden bald so weit sein.«
Zovastina folgte ihrem irritierenden Gesprächspartner auf die andere Seite der Basilika ins düstere südliche Querschiff. Michener blieb vor einer hoch aufragenden Marmorsäule stehen.
»Die Basilika wurde im Jahr 976 durch einen Brand zerstört und 1094 wieder errichtet und neu geweiht«, sagte er. »Wie Sie während meines Besuchs in Samarkand erwähnten, geriet der Ort, an dem sich der Leichnam des Heiligen Markus befand, in Vergessenheit. Dann ertönte während der Einweihungsmesse der neuen Basilika am 26. Juni 1094 aus dieser Säule das Geräusch von berstendem Stein. Marmor blätterte ab. Die Säule bebte. Erst kam eine Hand zum Vorschein, dann ein Arm, und schließlich wurde der ganze Körper des Heiligen enthüllt. Die Priester und Gläubigen scharten sich um die Gebeine, sogar der Doge persönlich, und man war allgemein der Überzeugung, mit dem Auftauchen des Heiligen Markus sei die Welt wieder völlig in Ordnung.«
Zovastina fand das eher amüsant. »Ich habe diese Geschichte gehört. Und ich finde es höchst bemerkenswert, dass der Leichnam ausgerechnet in dem Moment auftauchte, als die neue Kirche und der Doge die politische und finanzielle Unterstützung der Venezianer dringend benötigten. Gerade da wurden die Gebeine ihres Schutzheiligen wie durch ein Wunder enthüllt. Das muss ja ein ganz schönes Spektakel gewesen sein. Vermutlich hat der Doge oder ein schlauer Minister die ganze Szene arrangiert. Ein wirklich brillanter politischer Coup, über den man neunhundert Jahre später noch spricht.«
Michener schüttelte belustigt den Kopf. »Wie kleingläubig Sie doch sind.«
»Ich halte mich lieber an die Realität.«
Michener zeigte nach vorn. »Zum Beispiel daran, dass in diesem Grab Alexander der Große liegt?«
Seine Skepsis ärgerte sie. »Und woher wollen Sie wissen, dass er es nicht ist? Die Kirche hat keine Ahnung, wessen Leichnam jene venezianischen Kaufleute vor tausend Jahren in Alexandria gestohlen haben.«
»Dann erzählen Sie mir doch, Frau Ministerin, warum Sie sich so sicher sind.«
Sie sah auf die Marmorsäule, die das mächtige Deckengewölbe stützte, und strich mit der Hand über den Stein, wobei sie sich fragte, ob die Geschichte mit dem Leichnam des Heiligen in der Säule stimmte.
Sie mochte solche Geschichten.
Und deswegen erzählte sie dem Nuntius nun eine ihrer Geschichten.
Eumenes hatte eine gewaltige Aufgabe vor sich. Als Alexanders persönlicher Sekretär war er verpflichtet worden, dafür zu sorgen, dass der König an Hephaistions Seite bestattet wurde. Seit dem Tod des Königs waren drei Monate verstrichen, und der mumifizierte Leichnam lag noch immer im Palast. Die meisten anderen Diadochen hatten Babylon schon lange verlassen und die Herrschaft über ihren Teil des Imperiums übernommen. Die Suche nach einem Leichnam, der zum Austausch geeignet war, war eine Herausforderung, doch schließlich fand man außerhalb der Stadt in einem nahe gelegenen Dorf einen Mann, dessen Größe, Figur und Alter passten. Eumenes vergiftete den Mann, und einer der ägyptischen Einbalsamierer, der geblieben war, weil man ihm eine große Summe versprochen hatte, mumifizierte den falschen König. Danach verließ der Ägypter die Stadt, wurde jedoch von einem von Eumenes’ Komplizen er mordet. Der Austausch der Mumien wurde während eines Sommergewitters vorgenommen, bei dem schwere Regengüsse auf die Stadt niedergingen. Nachdem der falsche König einmal in Goldkartonage gehüllt war, königliche Gewänder trug und die Krone auf dem Kopf hatte, war er von Alexanders Mumie nicht mehr zu unterscheiden. Eumenes hielt Alexander mehrere Monate verborgen, bis der königliche Leichenzug Babylon verlassen hatte und mit dem falschen König auf dem Weg nach Griechenland war. Danach versank die Stadt in eine Lethargie, aus der sie nie wieder zur Gänze erwachte. Eumenes und seinen beiden Helfern gelang es, Alexander ohne Zwischenfall nach Norden zu überführen und den letzten Wunsch des Königs zu erfüllen.
Michener fragte: »Wollen Sie damit sagen, dass es sich bei diesen Gebeinen überhaupt nicht um Alexanders sterbliche Überreste handelt?«
»Ich habe nicht
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