Cotton Malone 05 - Der Korse
von der väterlichen Seite ererbte Familiensitz war ein klassisches, mit Zinnen versehenes Herrenhaus, das mitten in vierundzwanzig Hektar Wald stand, die seit 1660 zum Besitz der Ashbys gehörten.
Er betrat das Hauptspeisezimmer und nahm seinen üblichen Platz am nördlichen Kopfende der Tafel ein, wo hinter seinem Rücken ein Porträt seines Urgroßvaters, des sechsten Duke of Ashby und engen Vertrauten Queen Victorias I. hing. Draußen wirbelten weiße Flocken durch die kalte Dezemberluft – er vermutete, dass es bald richtig schneien würde. Weihnachten lag nur noch zwei Tage entfernt …
»Ich habe gehört, wie du zurückgekommen bist«, sagte eine weibliche Stimme.
Er blickte vom Tisch auf und sah Caroline an. Sie trug ein langes Kleid aus Seiden-Charmeuse, und durch einen hohen Schlitz blitzten die nackten Beine auf. Ein Überwurf im Kimono-Stil bedeckte ihre schmalen Schultern. Vorne war er offen und der Goldton des Kleides griff die Farbe ihres langen, lockigen Haars auf.
»Wie ich sehe, hast du dich so angezogen, wie sich das für eine gute Geliebte gehört.«
Sie lächelte. »Ist das nicht mein Job? Meinem Herrn zu gefallen?«
Er mochte es, wie sie miteinander umgingen. Die Prüderie seiner Frau hatte er schon seit langem satt. Sie lebte in London, und ihre Wohnung war mit Pyramiden vollgestellt, unter denen sie jeden Tag stundenlang lag, weil sie hoffte, dass deren magische Macht ihre Seele reinigen würde. Er hoffte, dass ihre Wohnung mit ihr darin abbrennen würde, aber dieses Glück war ihm bisher nicht vergönnt gewesen. Er hatte allerdings insoweit Glück gehabt, als sie keine Kinder hatten. Sie waren sich seit Jahren entfremdet, was seine vielen Geliebten erklärte, von denen Caroline die bisher letzte und die dauerhafteste war.
Drei Dinge unterschieden Caroline von all den anderen.
Zunächst einmal war sie außerordentlich schön – mehr äußerst attraktive körperliche Eigenschaften hatte er nie bei einer einzigen Person versammelt gesehen. Zweitens war sie höchst intelligent. Sie hatte Abschlüsse an der University of Edinburgh und am University College of London gemacht, den einen in mittelalterlicher Literatur und den anderen in angewandter alter Geschichte. Ihre Masterarbeit hatte sie dem napoleonischen Zeitalter und seinem Einfluss auf das moderne politische Denken, insbesondere in Bezug auf die europäischen Vereinigungsbestrebungen, gewidmet. Und drittens mochte er diese Frau wirklich gern. Ihre sinnliche Art erregte ihn auf eine Weise, die er nie für möglich gehalten hätte.
»Du hast mir gestern Nacht gefehlt«, sagte sie, als sie sich an den Tisch setzte.
»Ich war auf dem Boot.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
Sie kannte ihren Platz, das musste er ihr lassen. Keine Eifersüchteleien. Keine Forderungen. Sonderbarerweise hatte er sie aber noch nie betrogen. Und er fragte sich oft, ob sie ebenso treu war. Aber ihm war klar, dass nicht nur er, sondern auch sie das Recht hatte, Dinge für sich zu behalten. Beide waren sie frei, das zu tun, was ihnen beliebte.
»Geschäftlich«, sagte er und fügte dann hinzu: »Wie immer.«
Ein Diener erschien und stellte vor ihm einen Teller auf den Tisch. Zu seinem Vergnügen sah er ein in Schinken eingewickeltes Sellerieherz mit der würzigen Käsesauce, die er liebte.
Er legte seine Serviette auf den Schoß und nahm die Gabel zur Hand.
»Nein danke«, sagte Caroline, »ich bin nicht hungrig. Für mich bitte nichts.«
Er hörte den Sarkasmus heraus, aß aber weiter. »Du bist erwachsen. Ich nehme an, du würdest dir etwas bringen lassen, wenn du etwas wolltest.«
Sie führte das Haus, und das Personal stand komplett zu ihrer Verfügung. Seine Frau ließ sich hier nicht mehr blicken. Gott sei Dank. Im Gegensatz zu ihr ging Caroline nett mit dem Personal um. Sie kümmerte sich tatsächlich gut um alles, was er zu schätzen wusste.
»Ich habe vor ein paar Stunden gegessen«, sagte sie.
Er aß den Sellerie auf und war erfreut angesichts des Hauptgerichts, das der Diener ihm servierte. Rebhuhnbraten mit einer süßen Sauce. Zufrieden nickte er und ließ sich noch ein Stück Butter für sein Brötchen bringen.
»Hast du das verdammte Gold gefunden?«, fragte sie schließlich.
Er hatte absichtlich über seinen Erfolg in Korsika geschwiegen und ihre Frage abgewartet. Auch das gehörte zu der Art, wie sie miteinander umgingen.
Die ihr, wie er wusste, ebenfalls gefiel.
Er griff nach einer neuen Gabel. »Genau dort, wo du
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