Cotton Malone 05 - Der Korse
»Nicht direkt. Wir beide sind uns nie begegnet und haben nie miteinander gesprochen. Aber es gibt andere, mit denen er gesprochen hat, Leute, an die er sich um finanzielle Unterstützung gewandt hat. Sie wollten die Zusicherung, dass sie ihr Geld zurückerhalten würden, und so hat er ihnen eine einzigartige Garantie gegeben. Dazu musste er ihnen erklären, bei was er mitmacht. Er hat sich über die zu erzielenden Gewinne sehr deutlich geäußert.«
»Und Sie haben nicht vor, mir irgendwelche Namen zu nennen?«
Er richtete sich steif auf. »Warum sollte ich das tun? Von welchem Nutzen wäre ich dann noch?« Er wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, als das zu nehmen, was er ihr bot.
»Sie sind ein ziemliches Problem, Herr Thorvaldsen.«
Er kicherte. »Das stimmt.«
»Aber ich fange an, Sie zu mögen.«
»Ich hatte gehofft, dass wir uns irgendwo treffen könnten.« Er zeigte auf sie. »Wie bereits gesagt, habe ich mich eingehend mit Ihnen befasst. Und insbesondere mit Ihrem Vorfahren Pozzo di Borgo. Ich fand es faszinierend, wie sowohl die Briten als auch die Russen seine Vendetta mit Napoleon ausgenutzt haben. Mir gefällt sehr, was er 1811 sagte, als er von der Geburt des kaiserlichen Erben erfuhr. Napoleon ist ein Riese, der die mächtigen Eichen des Urwalds niederbiegt. Aber eines Tages werden die Geister des Waldes sich von ihrer entehrenden Fesselung befreien, dann werden die Eichen plötzlich hochschnellen und den Riesen zu Boden werfen. Durchaus prophetisch, denn genau das ist passiert.«
Er wusste, dass diese Frau aus ihrem Erbe Kraft schöpfte. Sie sprach oft und voller Stolz davon. In dieser Hinsicht waren sie sich ähnlich.
»Im Gegensatz zu Napoleon«, sagte sie, »ist di Borgo ein wahrer korsischer Patriot geblieben. Er hat sein Heimatland geliebt und dessen Interessen immer vorangestellt. Als Napoleon schließlich Korsika für Frankreich besetzte, wurde di Borgos Name ausdrücklich von der Liste der Personen ausgeschlossen, denen man politische Amnestie gewährte. Daher floh er. Napoleon jagte ihn durch ganz Europa. Doch es gelang di Borgo, die Gefangennahme zu vermeiden.«
»Und gleichzeitig hat er zunehmend für den Untergang des Kaisers gesorgt. Eine ziemliche Leistung.«
Thorvaldsen hatte sich informiert, wie Pozzo di Borgo Druck auf den französischen Hof und das französische Kabinett ausgeübt und Eifersüchteleien zwischen Napoleons vielen Brüdern und Schwestern geschürt hatte und wie er schließlich die zentrale Schaltstelle der französischen Opposition geworden war. Er hatte für die Briten in ihrer Botschaft in Wien gearbeitet und war in Österreichs politischen Kreisen persona grata geworden. Seine wahre Chance kam aber, als er in den russischen diplomatischen Dienst eintrat und als Kommissar zur preußischen Armee geschickt wurde. Schließlich stieg er in allen mit Frankreich verbundenen Angelegenheiten zur rechten Hand des Zaren auf und überzeugte Alexander davon, keinen Frieden mit Napoleon zu schließen. Zwölf Jahre lang sorgte er dafür, dass Frankreich in Auseinandersetzungen verstrickt blieb, denn er wusste, dass Napoleon nicht ewig an allen Fronten gleichzeitig kämpfen konnte. Letztlich waren seine Bemühungen von Erfolg gekrönt, aber diese Leistung wurde nicht anerkannt. In der Geschichtsschreibung wird er kaum erwähnt. Er starb 1842, geisteskrank, aber unglaublich reich. Sein Erbe ging an seine Neffen, von denen einer Eliza Larocques Vorfahr war. Dessen Nachkommen vervielfältigten den Reichtum hundertfach und begründeten eines der großen europäischen Familienvermögen.
»Di Borgo hat die Vendetta erfolgreich zu Ende geführt«, fuhr Thorvaldsen fort, »aber ich frage mich, Madame, hatte Ihr korsischer Vorfahr in seinem Hass gegen Napoleon vielleicht noch ein weiterführendes Ziel?«
In ihre kalten Augen trat ein Ausdruck widerwilligen Respekts. »Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie bereits wissen?«
»Sie, Madame, suchen nach Napoleons verschollenem Schatz. Deshalb gehört Lord Ashby zu Ihrer Gruppe. Er ist – drücken wir es einmal höflich aus – ein Sammler. «
Sie lächelte bei diesem Wort. »Wie ich sehe, war es ein großer Fehler, nicht schon längst an Sie heranzutreten.«
Thorvaldsen zuckte die Schultern. »Glücklicherweise bin ich nicht nachtragend.«
24
Paris
Malones Geduld mit Jimmy Foddrell ging allmählich zur Neige.
»All dieser Mantel-und-Degen-Scheiß ist vollkommen unnötig. Wer zum Teufel ist überhaupt hinter Ihnen
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