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Credo - Das letzte Geheimnis

Titel: Credo - Das letzte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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Unterhaltszahlungen schon nicht mehr aufbringen konnte. Plötzlich stand ihm eine lebhafte Erinnerung vor Augen – wie Luke an einem heißen Sommertag splitternackt durch den Tropfenfächer eines Rasensprengers gelaufen war … Es fühlte sich an, als schlitze ihm jemand die Kehle auf. So wie die Navajo-Frau, die er einmal dabei beobachtet hatte, wie sie einem Lamm die Kehle durchschnitt, das sich wehrte und schrill blökte, noch lebendig, aber eigentlich schon tot.
    Er zitterte beim Gedanken an die vielen Ungerechtigkeiten in seinem Leben, an seine Geldsorgen, die Untreue seiner Frau, die Scheidung. Immer wieder war er zum Opfer geworden, ohne dass er selbst irgendeine Schuld daran trug. Als er zur Mission ins »Rez«, das Reservat, gekommen war, hatte er nichts besessen als seinen Glauben und zwei Kartons voll Bücher. Gott prüfte seinen Glauben mit einem harten, mühseligen Leben und ständigem Geldmangel. Eddy hasste es, überall Schulden zu haben, vor allem bei Indianern. Aber Gott, der Herr, würde schon wissen, was Er tat, und Eddy baute hier langsam seine Gemeinde auf, obwohl die Leute sich offenbar eher für die Kleidung interessierten, die er verschenkte, als für seine Predigt. Niemand legte je mehr als ein paar Dollar in dasKollektenkörbchen – an manchen Sonntagen kamen kaum zwanzig Dollar zusammen. Und viele seiner Schäfchen gingen danach weiter zur Messe der Katholischen Mission, um kostenlose Brillen und Medikamente einzusacken, oder zur LDS Church in Rough Rock, wo es Essen umsonst gab. Das war das Problem mit den Navajos: Sie konnten die Stimme des Mammons nicht von der Gottes unterscheiden.
    Er hielt einen Moment inne und blickte sich nach Lorenzo um, doch sein Navajo-Gehilfe war noch nicht erschienen. Beim Gedanken an Lorenzo wurde ihm heiß vor Zorn. Das Geld aus der Kollektenkasse war schon zum dritten Mal verschwunden, und nun zweifelte er nicht mehr daran, dass Lorenzo der Dieb war. Es waren nur gut fünfzig Dollar gewesen, aber seine Mission brauchte diese fünfzig Dollar dringend, und schlimmer noch – er hatte den Herrn bestohlen. Lorenzos Seele war in Gefahr, und das wegen lausiger fünfzig Kröten.
    Eddy hatte es satt. Letzte Woche schon hatte er beschlossen, Lorenzo zu feuern, aber dafür brauchte er einen Beweis. Und den würde er bald haben. Gestern, zwischen der Kollekte und dem Ende des Gottesdienstes, hatte er die Geldscheine im Körbchen mit einem gelben Stift markiert. Dann hatte er den Kaufmann in Blue Gap gebeten, die Augen danach offen zu halten, ob jemand mit diesen Scheinen bei ihm bezahlte.
    Er zog sein T-Shirt an, reckte die mageren Arme und ließ mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Abscheu den Blick über seine bescheidene Missionsstation gleiten. Der Trailer, in dem er wohnte, war praktisch Schrott. In der Nähe stand der Heuschuppen aus Faserzement-Bauteilen, den er einem Rancher in Ship Rock abgekauft hatte; er hatte den Schuppen zerlegt, hierhertransportiert und wieder aufgebaut – das war seine Kirche. Echte Knochenarbeit. Plastikstühle in verschiedensten Größen, Farben und Formen ersetzten die Kirchenbänke. Die »Kirche« hatte nur eine Wand, nach drei Seitenhin war sie offen, und während seiner Predigt gestern hatte der Wind aufgefrischt und seine Gemeinde mit Sand bedeckt. Sein einziger wertvoller Besitz war im Wohnwagen, ein iMac Intel Core Duo mit Zwanzig-Zoll-Bildschirm; ein frommer Tourist, der das Navajo-Land bereist hatte, hatte ihm den Computer geschickt, beeindruckt von Eddys Missionsarbeit unter schwierigsten Bedingungen. Der Computer war ein Geschenk Gottes, denn er verband ihn mit dem Rest der Welt außerhalb des Reservats. Täglich verbrachte er viele Stunden im Internet, besuchte christliche Foren und Chatrooms, empfing und verschickte E-Mails und organisierte die Kleiderspenden.
    Eddy ging in die Kirche, rückte die Stühle zurecht, bis sie wieder ordentliche Reihen bildeten, und fegte mit einem Handbesen den Sand von den Sitzflächen. Währenddessen dachte er an Lorenzo und wurde immer wütender, scheppernd riss er die Stühle auseinander und stieß sie grob an ihre Plätze. Das wäre eigentlich Lorenzos Arbeit gewesen.
    Als er damit fertig war, holte er den großen Besen, ging zu dem hölzernen Podest, auf dem er seine Predigten hielt, und begann, auch dieses zu fegen. Da sah er Lorenzo im Hof erscheinen. Endlich. Der Navajo ging die drei Kilometer von Blue Gap hierher immer zu Fuß, und er hatte die Angewohnheit, lautlos

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