Credo - Das letzte Geheimnis
Hier kann ich mich zehn Minuten hinlegen und erfrischt wieder aufwachen.«
Er versicherte ihr noch einmal, dass er sich nur habe vergewissern wollen, ob sie Hilfe brauche. Sie bemerkte beiläufig, sie brauche höchstens einen doppelten Espresso, bevor sie sich wieder über die Bücher hermachte. Er sagte, er könne auch einen vertragen – und das war ihre erste Verabredung.
Sie waren grundverschieden. Das machte gerade den Reiz aus. Sie kam aus der Arbeiterschicht in einem Dorf, er gehörte der Großstadt-Elite an. Sie stand auf Blondie, er hörte gern Bach. Sie rauchte manchmal Haschisch, was er ein wenig skandalös fand. Er war Katholik, sie eine schreiende Atheistin. Er war beherrscht; sie war unberechenbar, spontan, manchmal sogar wild. Bei ihrer zweiten Verabredung war sie es, die sich an ihn heranmachte. Obendrein war sie eine brillante Studentin – vielleicht sogar ein Genie. Sie war so klug, dass es ihm Angst einjagte und ihn zugleich erst recht scharf machte. Sogar außerhalb der Physik war sie von dem Drang, die menschliche Natur verstehen zu wollen, wie besessen. Sie war eine leidenschaftliche Partisanin, zutiefst empört über die Ungerech tigkeit der Welt, und gehörte zu jenen, die Petitionen unterschrieben,auf der Straße demonstrierten und hitzige Leserbriefe schrieben. Er erinnerte sich daran, wie sie oft bis in die frühen Morgenstunden über Politik und Religion diskutiert hatten, an ihre überraschend tiefen Einsichten in die menschliche Psyche, so emotional ihre Ansichten auch sein mochten.
Seine Entscheidung, zur CIA zu gehen, hatte ihre Beziehung beendet. In ihren Augen war man entweder einer von den guten Jungs, oder eben nicht. Die CIA gehörte definitiv in die Kategorie »oder eben nicht«.
»Also, Wyman«, fragte Kate, »warum hast du sie aufgegeben?«
»Was?« Ford wurde in die Gegenwart zurückgerissen.
»Deine Karriere bei der CIA. Was ist passiert?«
Ford wünschte, er könnte sich überwinden, es einfach auszusprechen:
Weil meine Frau bei einem unserer Undercover-Einsätze von einer Autobombe zerfetzt wurde
. »Das war doch nichts für mich«, sagte er lahm.
»Verstehe. Wäre es … bestünde denn Grund zur Hoffnung, dass du deine Einstellung geändert hast?«
Und was ist mit deiner Einstellung?
, dachte Ford, behielt das aber für sich. Das sah ihr so ähnlich: direkt zum springenden Punkt vorzudringen, koste es, was es wolle. Das hatte er an ihr geliebt, und er hatte es gehasst.
»Das Essen sieht toll aus«, sagte er, um das Gespräch unverbindlich zu halten. »Soweit ich mich erinnere, warst du früher die Königin der Mikrowelle.«
»Von dem ganzen Fertigfraß bin ich dick geworden.«
Wieder Schweigen.
Ford spürte von der anderen Seite einen weiteren Rippenstoß. Melissa Corcoran hielt eine Flasche in der Hand und bot an, ihm nachzuschenken. Ihr Gesicht war gerötet.
»Das Steak ist perfekt«, sagte sie. »Gut gemacht, Kate.«
»Danke.«
»Blutig – genau so, wie ich es mag. Aber, he!«, sagte sie und wies auf Fords Teller. »Du hast deines ja gar nicht angerührt!«
Ford aß einen Bissen, aber der Appetit war ihm vergangen.
»Das liegt sicher daran, dass Kate dir alles über die Stringtheorie erzählt hat. Ziemlich cool – auch wenn es reine Spekulation ist.«
»Ganz im Gegensatz zu Dunkler Energie«, bemerkte Kate mit einem scharfen Unterton in der Stimme.
Ford spürte sofort die Spannung zwischen den beiden Frauen.
»Dunkle Energie«, erklärte Corcoran kühl, »wurde experimentell entdeckt. Durch
Beobachtung
. Das Problem bei der Stringtheorie ist genau umgekehrt – sie existiert nur als ein Haufen hypothetischer Berechnungen ohne überprüfbare Voraussagen. Das ist eigentlich nicht wissenschaftlich zu nennen.«
Wolkonski beugte sich über den Tisch, und Ford roch einen Hauch von schalem Zigarettenrauch. »Dunkle Energie, Strings, pff! Wer interessiert das? Ich will wissen, was macht Ethnologe.«
Ford war froh über die Ablenkung. »Wir leben eine Zeitlang in der Wildnis bei irgendeinem Stamm und stellen eine Menge dumme Fragen.«
»Ha, ha!«, machte Wolkonski. »Vielleicht hast du gehört, Rothäute kommt zur Red Mesa. Ich hoffe, wird keine skalpieren hier!« Er stieß eine Art Indianergeheul aus und blickte sich beifallheischend um.
»Das ist nicht witzig«, sagte Corcoran bissig.
»Mach locker, Melissa«, erwiderte Wolkonski mit gerecktem Kinn, und das Klümpchen Bart daran zitterte vor unterdrückter Wut. »Lass mir in Ruhe mit politische
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